Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Institut für Kriminologie

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Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Institut für Kriminalwissenschaften, Abt. IV Kriminologie

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Kriminalität und Kriminalitätseinstellungen in Deutschland

3. Ost-Westdeutsche Kriminalitätsbefragung

Forschungsbericht

Bo 1234/2-1

 

Prof. Dr. Klaus Boers

Prof. Dr. Hans-Jürgen Kerner

Peter Kurz, M.A.

cand. iur. Petra Bossert

 

September 1998

 

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung und forschungsleitende Fragestellungen *

2 Stichproben, Erhebungs- und Auswertungsmethoden *

2.1 Stichproben, Erhebungs- und Auswertungsmethoden *

2.2 Verwendete Methoden *

3 Grundverteilungen zentraler demografischer und sozialstruktureller Variablen sowie sozialer Einstellungen und Wahrnehmungen *

3.1 Geschlecht und Alter *

3.1.1 Geschlecht *

3.1.2 Alter *

3.2 Gemeindeklassen *

3.3 Schicht und Bildung *

3.3.1 Schicht *

3.3.2 Bildung *

3.4 Wahlpräferenzen *

3.5 Beunruhigung über soziale Probleme *

3.6 Wahrnehmung sozialer Desorganisation *

4 Kriminalität im Dunkelfeld (Opferbefragung) *

4.1 Kriminalitätsentwicklung und sozialer Umbruch *

4.2 Opferprävalenz *

4.2.1 Geschlecht und Alter *

4.2.1.1 Geschlecht *

4.2.1.2 Alter *

4.2.1.3 Beziehungen zwischen Geschlecht, Alter und Opfererfahrungen *

4.2.2 Gemeindeklassen *

4.2.3 Schicht und Bildung *

4.2.4 Wahlpräferenzen *

4.2.5 Beunruhigung über soziale Probleme *

4.2.6 Wahrnehmungen von Zeichen sozialer Desorganisation im Wohnviertel *

4.2.7 Zusammenfassung *

 

5 Kriminalitätseinstellungen als subjektive Bevölkerungsreaktionen auf Kriminalitätsphänomene *

5.1 Wie werden Kriminalitätseinstellungen "gemessen"? *

5.2 Die Entwicklung der Kriminalitätsfurcht, persönlichen Risikoeinschätzung und des Vermeideverhaltens seit der Wende *

5.3 Aufgabe des sozialen Nahbereichs durch Vermeideverhalten? *

5.4 Erklärungsansätze zu den Kriminalitätseinstellungen, insbesondere zur Kriminalitätsfurcht *

5.4.1 Kriminalitätsfurcht und Opferwerdung *

5.4.2 Geschlechtsrollenverständnis *

5.4.3 Sozial desorganisierte Nachbarschaften ("Broken Windows"?) *

5.4.4 Übertragung sozialer Ängste und der Einfluß der Massenmedien *

5.5 Ein interaktives Verständnismodell von Kriminalitätseinstellungen *

5.5.1 Kriminalitätsfurcht und soziale Milieus im Rahmen eines interaktionalen Verständnismodells *

5.5.1.1 Kriminalitätseinstellungen und Copingfähigkeiten *

6 Sanktionseinstellungen (1993 bis 1995) *

6.1 Erhebungsinstrumente *

6.2 Die Entwicklung der Sanktionseinstellungen seit der Wende *

6.3 Sozialstrukturelle Zusammenhänge *

6.3.1 Geschlechts- und Altersstruktur *

6.3.1.1 Geschlechtsstruktur *

6.3.1.2 Altersstruktur *

6.3.2 Gemeindeklassen *

6.3.3 Bildung und soziale Schicht *

6.3.4 Wahlpräferenzen *

6.3.5 Wahrnehmung sozialer Probleme *

6.3.6 Wahrnehmungen von Zeichen sozialer Desorganisation im Wohnviertel *

6.3.7 Opferwerdung *

6.3.8 Kriminalitätsfurcht *

6.4 Multiple Korrespondenzanalysen mit Sanktionseinstellungen *

7 Zusammenfassung der Befunde und kriminalpolitischer Ausblick *

 

  1. Einleitung und forschungsleitende Fragestellungen
  2. Die Kriminalitätsbefragung aus dem Jahre 1995, deren Ergebnisse hier vorgestellt werden, stand in einem engen Kontext mit zwei zuvor in den Jahren 1991 und 1993 durchgeführten Erhebungen der kriminologischen Umbruchsforschung. Während die längere zweite Befragung insbesondere auch der Untersuchung von umbruchsstypischen sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhängen der Entwicklung von Kriminalität und Kriminalitätseinstellungen diente, standen bei der dritten wie bei der nur in Ostdeutschland durchgeführten ersten Erhebung – vornehmlich wegen der begrenzten Befragungszeit von ca. dreißig Minuten – die deskriptiv-empirische Bestandsaufnahme der kriminologisch relevanten Umbruchsphänomene (sogenannte "empirische Begleitforschung") im Vordergrund.

     

     

    Empirische Begleitforschung und kriminalpolitische Aktualität

     

    Schon im Arbeitsprogramm des Forschungsantrages wurden deshalb die Möglichkeiten und Ziele dieser Befragung wie folgt formuliert:

     

    Angesichts des analytisch und deshalb zeitlich enger gesteckten Rahmens kann es dabei also nicht um umfassendere Analysen zum Gesamtzusammenhang "Sozialer Umbruch und Kriminalität" gehen, wie er den Befragungen des Kooperationsprojektes zugrundelag. Auch wenn der inhaltliche Zusammenhang mit diesen Erhebungen, wie im übrigen mehr oder weniger auch mit anderen seit der Wende durchgeführten Kriminalitätsbefragungen, auf der Hand liegt, sollen und können die wesentlich dezidierteren Fragestellungen des Kooperationsprojektes (z. B. hinsichtlich des komplexen Zusammenhangs zwischen selbstberichteter Delinquenz und sozialen Milieus) hier nicht weiter verfolgt werden. Gleichwohl erlauben die zu gewinnenden Daten einen angesichts der fortdauernden Dynamik des Umbruchsprozesses insbesondere für die kriminalpolitische Diskussion bedeutsamen aktuellen Überblick über kriminologisch relevante Entwicklungen. (S. 47)

     

    Seitdem die Kriminalität und die Kriminalitätsfurcht in Ostdeutschland etwa ab 1992/93 zu öffentlich diskutierten Problemen wurden, sind beide Phänomene zu einem allgemeinpolitischen Dauerthema auch für Gesamtdeutschland geworden. In den Programmen der politischen Parteien nehmen die "Kriminalitätsbekämpfung" und das "Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung" inzwischen einen herausragenden Platz ein. Unter anderem mit den Gesetzen zur Bekämpfung von Sexualdelikten und zur Reform des Strafrechts vom 26. Januar 1998 (BGBl I, S. 160; S. 164), zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4. Mai 1998 (BGBl. I, S. 845) oder zur DNA-Identitätsfeststellung vom 7. September 1998 (BGBl. I, S. 2646) sind zum Teil erhebliche Restriktionen und Verschärfungen eingeführt worden, z. B. die Erhöhung der Strafrahmen für Gewalt- oder Sexualdelikte, die erleichterte Anordnung der Sicherheitsverwahrung nicht nur bei Sexualdelikten, sondern auch bei allen Verbrechen und sogar schon bei einer gefährlichen Körperverletzung, eine obligatorische Eingangstherapie für Sexualstraftäter, gegen die eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren vollzogen werden soll, die Möglichkeit der akustischen Überwachung von Wohnungen oder die genetische Identitätsfeststellung, wiederum nicht nur bei einem Verdacht von Sexualstraftaten, sondern auch im Falle des Verdachts einer gefährlichen Körperverletzung, eines schweren Diebstahls oder einer Erpressung. Die Herabsetzung der Strafmündigkeitsgrenze, die geschlossene Heimunterbringung für wiederholt delinquente Kinder sowie die regelmäßige Anwendung von Erwachsenenstrafrecht auf Heranwachsende werden weiterhin intensiv diskutiert (vgl. Kerner und Sonnen 1997). Auch in den verschiedensten Meinungsumfragen rangieren die Kriminalitätszunahme und die "innere Sicherheit" bei den abgefragten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Problemen in den letzten Jahren kontinuierlich (und im Gegensatz zu den achtziger Jahren) auf den oberen Plätzen (z.B. ipos 1995; SPIEGEL Nr. 46/1996 vom 11. November 1996; Pressemitteilungen der r+v Versicherungen 1997, 1998). In Teilen der neuen Bundesländer (z. B. in Brandenburg), wo der Problemdruck im Zuge der Wiedervereinigung als sehr stark wahrgenommen wird, haben sich bürgerwehrähnliche "Schutzvereine" gebildet (vgl. auch Korfes und Sessar 1997; 1998), Mecklenburg-Vorpommern plant (FAZ vom 6. November 1996) und Sachsen hat die Einrichtung einer Hilfspolizei beschlossen (SächSWEG v. 12. Dezember 1997, SächsGes/VerordBl Nr. 12, S. 647 ff.). Aber auch in den alten Bundesländern sind ähnliche Entwicklungen zu beobachten: In Bayern wurden Laienpolizisten für Patrouillengänge der im bayerischen Polizeirecht vorgesehenen "Sicherheitswacht" aktiviert und das Bundesinnenministerium hat den Ländern BGS-Personal zur Verstärkung in Problemzonen angeboten (Frankfurter Rundschau v. 15. Oktober 1996).

    Besonders im Mittelpunkt des "neuen" Kriminalitätsbewußtseins steht die Kriminalitätsfurcht. Vor allem ihretwegen wird "Handlungsbedarf" verkündet, sollen neue Mittel der kommunalen und polizeilichen Prävention zum Einsatz kommen (z. B. die bürgernahe, gemeinwesenorientierte Polizeiarbeit, vgl. Deutsche Stiftung für Verbrechensverhütung 1996) und sind trotz angespannter Haushaltslagen mehr Polizisten eingestellt worden. Dabei ist nicht zu übersehen, daß sich der in früheren Zeiten dissensanfälligere Ausbau des Polizei- und Strafverfolgungssystems gegenüber kritischen Einwänden auf die damit einhergehenden Paradoxien und Dysfunktionalitäten (verstärkte Überwachungsbefugnisse können die rechtsstaatliche Sicherheit gefährden; infolge verstärkter polizeilicher Verfolgung erhöhte Kriminalitäts- und Aufklärungsquoten verringern die "Präventivwirkung des Nichtwissens" etc.) mit dem Hinweis auf das "Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung" zunehmend immunisieren kann. Die "Kriminalitätsfurcht" ist hierzu im politischen Diskurs unbestreitbar gut geeignet. Denn Angst kann - allgemein formuliert - "nicht bestritten, nicht widerlegt, nicht kuriert werden. Sie tritt in der Kommunikation immer authentisch auf. Wer sagt, er habe Angst, dem kann man nicht entgegenhalten, er irre sich. Angst schafft sich mithin Respekt, mindestens Toleranz, sie macht Widerspruch inkommunikabel" (Luhmann 1987, S. 169). Konkret kann man sich hier für die Lebensqualität der "gesamten Bevölkerung" einsetzen und gerät nicht in den Verdacht, den Status einzelner Gruppen, z. B. der sozial Bessergestellten, sichern zu wollen.

    Neben der kriminalpolitischen Aktualität einer wiederholten Kriminalitätsbefragung wurde im Forschungsantrag aber auch betont, daß "der Bestand an empirischen Grunddaten für die weitere Entwicklung einer modernisierungs- und umbruchsorientierten kriminologischen Theorie " und Forschung von großer Bedeutung sei (S. 47).

    Einer der Vorteile der vorliegenden Befragungsdaten liegt darin, daß sie aufgrund eines hohen Anteils identischer Fragen mit den beiden vorangegangenen Erhebungen in einen – was für makrostrukturelle kriminologische Untersuchungen sehr selten ist - zeitlichen Kontext dargestellt und interpretiert werden können.

    Erscheint dies für die vermutete Erweiterung "modernisierungstheoretischer Überlegungen" ohnehin als unabdingbar, so ist eine temporäre Einordnung freilich auch für einen deskriptiv zu verstehenden "aktuellen Überblick über kriminalpolitisch relevante Entwicklungen" erforderlich, um nicht einer der typischen Beobachtungsverzerrungen kriminalpolitischer Diskussionen zu erliegen - der mangels struktureller Vergleichsinformationen analytischen Überbewertung und Dramatisierung aktueller und häufig singulärer Vorkommnisse.

    Bislang bezogen und beziehen sich krimininologische Zeitvergleiche in Deutschland allenfalls auf die sehr eingeschränkten Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik. Die drei genannten Erhebungen erlauben indessen, zumal dann, wenn man zusätzlich (zu einem Teil ebenfalls vergleichbare) Untersuchungen des Max-Planck-Instituts/Bundeskriminalamtes aus dem Jahre 1990 sowie des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen aus dem Jahre 1992 berücksichtigt, einen genaueren Einblick in die strukturellen Entwicklungszusammenhänge, nicht nur des Dunkelfeldes, sondern auch des sozialen Kontextes, der Dimensionen sozialer und kriminalitätsrelevanter Einstellungen und Beurteilungen sowie nicht strafbaren, aber sozial und politisch abweichenden Verhaltens. Im übrigen bilden diese Erhebungen auch für die univariate Betrachtung der Kriminalitätsentwicklung in den neuen Bundesländern unmittelbar nach der Wende bis 1993 die einzig verläßliche Beurteilungsgrundlage, weil die Reorganisation des polizeilichen Registrierungswesens im Rahmen der Gesamtrestrukturierung der ostdeutschen Polizei erst mit dem Jahre 1993 abgeschlossen werden konnte.

    Eine weitere für 1998 geplante Befragung ist nicht bewilligt worden. Dies ist insofern bedauerlich, als die Kriminalitätsentwicklung und insbesondere die Kriminalitätsfurcht in der gegenwärtigen, auch von Wahlkämpfen geprägten kriminalpolitischen Auseinandersetzungen eine immer größere Bedeutung gewonnen haben, die empirischen Informationen sich aber aktuell nur auf Hellfelddaten oder hinsichtlich der Kriminalitätseinstellungen lediglich auf gelegentliche Erhebungen im Rahmen allgemeinerer Meinungsumfragen beziehen können, die aus der Struktur solcher Surveys heraus über singuläre und wenig differenzierte Fragen nicht hinausreichen. Immerhin konnte das Institut für Rechtstatsachenforschung an der Universität Konstanz in Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe Kriminalprävention (Universität Heidelberg, Max-Planck Institut Freiburg, Fachhochschule der Polizei Villingen-Schwenningen) Anfang 1998 eine weitere Pilotstudie zur Vorbereitung einer regelmäßigen Erhebung von Kriminalitätsindikatoren mit einer großen nationalen Stichprobe durchführen und trotz der (sehr) begrenzten Befragungszeit einige der kriminalpolitisch relevanten Grunddaten auch aktuell erheben; Ergebnisse sind bislang noch nicht veröffentlicht worden.

    Zentrale Befunde der vorliegenden Befragung sowie auch theoretische Überlegungen wurden bereits in mehreren Zeitschriften, Sammelbänden und Presseerklärungen veröffentlicht. Hierauf wird im nachfolgenden Bericht jeweils verwiesen; die bislang umfassendste Darstellung unserer Forschungen im Rahmen des Kooperationsprojektes "Sozialer Umbruch und Kriminalität in Deutschland" findet sich in Boers, Gutsche und Sessar 1997.

     

     

    Forschungsleitende Grundannahmen. Kriminalität im sozialen Umbruch, Kriminalität als Modernisierungsrisiko

     

    Um einen theoretischen Rahmen oder inhaltlichen Interpretationskontext zu gewinnen, haben wir im Forschungsantrag den Zeitverlauf seit der Wende in den neuen Bundesländern in drei Phasen gegliedert und uns für die Erklärung der Kriminalitätsentwicklung an modernisierungs- und risikotheoretischen Überlegungen orientiert.

    Diese drei Phasen wurden demnach wie folgt beschrieben (siehe Boers 1997, S. 35 ff):

     

    Zunächst die Zeit seit der Wende im Herbst 1989 bis zur Währungsunion und Wiedervereinigung als Phase des Zusammenbruchs der ehemaligen DDR und ihrer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Institutionen (vgl. auch Arnold 1992, S. 299; Reißig 1994, S. 324).

    Sodann eine mit der Währungsunion und Wiedervereinigung im Sommer/Herbst 1990 begonnene und noch andauernde Phase des Umbruchs, des Transfers von Personal und Eliten, von Institutionen, Kapital und Sozialleistungen, die eine im wesentlichen alimentative Stabilisierung der nun in die neuen Bundesländer übergegangenen ehemaligen DDR und ihrer Bürger gewährleisten konnten.

    Zur Zeit, also acht Jahre nach der Wiedervereinigung, befinden sich die neuen Bundesländer in einer dritten Phase der zunehmenden Ausdifferenzierung, für deren Beginn sinnbildlich die Auflösung der Treuhandanstalt im Frühjahr 1995 steht: Auf der einen Seite wird, bei weiterhin enormen Transferleistungen, ein Teil der staatlichen und wirtschaftlichen Institutionen selbständig, sei es, daß Ostdeutsche inzwischen die "neuen Geschäfte" führen können, sei es, daß Westdeutsche dauerhaft im Osten leben und nicht mehr nur vorübergehend "aushelfen". Dies gewährt auf der einen Seite Chancen einer eigenständigen und stabileren (d. h. nicht mehr alimentierten) ökonomischen und sozialen Integration (Reorganisation und Aufbau Ost). Auf der anderen Seite sind mit der vor allem in der Umbruchsphase durchgeführten Abwicklung aber auch viele als erhaltenswert empfundene soziale, wirtschaftliche, kulturelle und politische Einrichtungen und Lebensperspektiven unwiederbringlich zerstört worden. Hierin liegt ein nicht unerhebliches soziales Desintegrationspotential, das sich vor allem in der noch zunehmenden (Langzeit-) Arbeitslosigkeit, in rechtsextremistischer und fremdenfeindlicher Gewalt, in einem seit 1992 im Osten beobachtbaren Stimmungseinbruch ("Ostalgie") und einer damit im Zusammenhang stehenden Tendenz zur politischen Rückbesinnung (PDS-Erfolge) zeigt. Die Ausdifferenzierung und Pluralisierung von sozialen Schichten, Milieus und Lebensstilen erfolgt(e) zwar auch im Westen, aber sie geschieht im Osten sehr viel schneller und unübersichtlicher mit dementsprechend größeren Risikopotentialen für die soziale Integration (vgl. Geißler 1996; Mayer 1996). Es ist insofern auch denkbar, daß in Ostdeutschland - anders als in den übrigen postsozialistischen Transformationsgesellschaften - die Risiken des sozialen Umbruchs erst in dieser dritten Phase, nachdem sie in den beiden ersten durch Transferleistungen aufgefangen werden konnten, "als in sozialintegrativer Hinsicht ungünstigste Konstellation eines Transformationsprojekts" (Wiesenthal 1995, S. 100) voll zum Tragen kommen.

    Der Begriff "Sozialer Umbruch" kennzeichnet somit für Ostdeutschland (und Osteuropa) einen Transformationsprozeß, bei dem es, im Unterschied zu Innovation oder sozialem Wandel, um eine sowohl rasche als vor allem auch grundlegende Umwandlung gesellschaftlicher Institutionen geht, die in wesentlichen Teilen von individuellen und kollektiven Akteuren bewußt herbeigeführt wurde (vgl. Klein 1993, S. 176; Reißig 1994, S. 124).

     

    Vor diesem Hintergrund wurde versucht, die im Verlauf des sozialen Umbruchs auftretenden kriminologisch relevanten Entwicklungen als ein Riskio des (nachholenden) gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses zu begreifen. Die forschungleitende Grundannahme lautete somit: "Kriminalität als Modernisierungsrisiko" (siehe, auch ausführlicher zu den modernisierungstheoretischen Implikationen, Boers 1997, S. 38 ff., 44 ff. sowie Gutsche 1997).

     

    Demnach hat der soziale Umbruch in Deutschland, Mittel- und Osteuropa nicht nur zur wirtschaftlichen, sozialen und politischen Desintegration beigetragen, sondern gleichzeitig auch neue Freiheiten sowie die Modernisierung von Staat und Gesellschaft ermöglicht. Dies bedeutet mithin die Teilhabe an den Chancen und Risiken der Entwicklungsdynamik einer modernen Gesellschaft. Kriminalität und Kriminalitätsfurcht gehören zu solchen Modernisierungsrisiken (vgl. Blinkert 1988) ebenso wie Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung oder Armut. Man kann dem nicht mit normativen Vorstellungen, etwa einer armuts- oder kriminalitätsfreien Gesellschaft und entsprechenden Bekämpfungsprogrammen, begegnen. In ausdifferenzierten Gesellschaften ist allenfalls eine partielle Steuerung sozialer (noch weniger wohl wirtschaftlicher) Entwicklungen möglich. Demnach kann zwar ein gewisses Maß an sozialer Integration erreicht werden, jedoch immer mit der Möglichkeit der gleichzeitigen Desintegration anderer Bereiche der Gesellschaft.

    Um zu einer genaueren Beschreibung der funktionalen Bedeutung solcher Risiken zu gelangen, könnte man beispielsweise Luhmanns (1991, S. 30 f.; vgl. auch Beck 1991, S. 47) Unterscheidung zwischen Risiko und Gefahr (statt, wie gemeinhin üblich, zwischen Risiko und Sicherheit) aufgreifen. Danach bezieht sich "Risiko" darauf, daß ein zukünftiger Schaden einer gegenwärtigen Entscheidung - also intern - zugerechnet werden kann, während er im Falle der "Gefahr" als extern veranlaßt auf die Umwelt zugerechnet wird. In modernen Gesellschaften tendiere man dazu, Gefahren nur als Risiken, als zurechenbare Entscheidung ernst zu nehmen (a.a.O., S. 36). Dadurch entsteht der Eindruck, daß zukünftige (schädliche) Folgen heutiger Entscheidungen kalkulierbar und beherrschbar sind. Insofern sind moderne Gesellschaften nicht deshalb Risikogesellschaften, weil in ihnen viel Leid und Zerstörung herrscht - das würde sie von früheren Gesellschaften nicht unterscheiden -, sondern weil angesichts eingetretener oder zu erwartender Schäden nicht auf das Schicksal oder "höhere Mächte", sondern auf zurechenbare Entscheidbarkeit, eben auf Risiko verwiesen werden kann.

    Im Prozeß der nachholenden Modernisierung war (und ist) man demnach bereit, "einiges" hinzunehmen, zumal die große Mehrheit der DDR-Bürger angesichts der erhofften Vorteile des Westsystems und der erfahrenen Nachteile im Ostsystem die Wiedervereinigung unterstützt, d. h. hierüber mitentschieden hat ("Wir sind ein Volk!"). Insofern mußte die im Verlauf des Umbruchs erfolgte Zunahme abweichender Verhaltensformen nicht notwendigerweise als ein Ausdruck sozialer Desintegration, sondern konnte zunächst einmal auch als eine strukturell bedingte Begleiterscheinung des Modernisierungsprozesses aufgefaßt werden. So dürfte beispielsweise nachvollziehbar (gewesen) sein, daß die für die Reproduktion des Wirtschaftssystems erforderlichen Konsumanreize nur in eingeschränktem Maße mit polizeilicher Kontrolle einhergehen können, womit in zweifacher Hinsicht die Gelegenheiten zur (massenhaften) Begehung von Eigentumsdelikten vergrößert werden. Oder: Ein freier Warenverkehr kann insbesondere mit Blick auf die osteuropäischen Märkte nicht bei wie ehedem geschlossenen Grenzen erfolgen; angesichts des Wohlstandsgefälles zwischen der Bundesrepublik und ihren östlichen Nachbarn bringen offene Grenzen allerdings auch Migrations- und grenzüberschreitende Wirtschaftskriminalität mit sich. Und schließlich können nicht riesige Staatsvermögen aufgelöst und neue Vermögen durch Privatisierung und öffentliche Subventionierung gebildet werden, ohne daß dies mit Korruption, Subventionsbetrug oder - in Osteuropa - auch mit gewaltsamen Verteilungskämpfen einherginge.

    Was geschieht aber, wenn die "Schäden" höher als erwartet ausfallen, wenn der versprochene "Aufbau Ost" auf einmal nicht mehr als "Moderne", sondern als Rückschritt wahrgenommen wird? Man läßt sich dies natürlich nicht auf seine Einheitsentscheidung zurechnen, sondern verweist nun als von Modernisierungsgefahren Betroffener auf die Verantwortung derjenigen, die noch immer entscheiden und verlautbaren, sie hätten alles im Griff: (westliche) Politiker sowie ökonomische und staatliche Institutionen, denen man zuvor noch als risikokompetent vertraut hatte. Das entstehende Paradox, daß derselbe Umstand, zum Beispiel die Arbeitslosigkeit oder die Kriminalität, für die einen ein bloßes und notwendiges Risiko, aber eben der Moderne, für die anderen indes bereits eine Katastrophe, eine Rückentwicklung, gar vor die eigene Vergangenheit, bedeutet, muß bearbeitet werden, d. h. es wird durch eine andere Unterscheidung ersetzt und dadurch invisibilisiert, wobei häufig Ideologien, Ängste, "Werte" oder "Vernunft" in Anspruch genommen werden (Luhmann 1987). Zur Zeit geschieht dies bekanntlich nicht selten im Rahmen der Ost-West-Differenz: Man kann sich dann je nachdem von der Wiedervereinigung viktimisiert fühlen ("Besserwessi-Kolonialismus") oder den mangelnden Aufbau im Osten der mit überhöhten Ansprüchen gepaarten Inkompetenz der neuen Bundesbürger anlasten ("Leben wie bei Kohl und arbeiten wie bei Honecker geht nicht!"). Nun beruht das, was zunächst noch als "Risiko" oder "Gefahr", alsbald aber häufig auch als "abweichendes" oder "kriminelles" Verhalten angesehen wird, auf gesellschaftlichen Definitionsprozessen (Becker 1981 [1963]). "Abweichung" und "Kriminalität" sind deshalb zur gesellschaftlichen Paradoxiebearbeitung, zumal wenn dies im Rahmen massenmedialer und politischer Dramatisierung erfolgt, gut geeignet: Was bei den einen dann als weiteres unheilvolles "Muttermal der (ganz) alten Gesellschaft" gilt, sind bei anderen Handlungen individueller (oder seit einiger Zeit auch organisierter) "Krimineller", die mit einem angemessenen Einsatz öffentlicher Ressourcen kontrolliert werden können.

     

    Aus diesen Überlegungen können natürlich keine im Sinne einer operationalisierenden Forschungsmethodik spezifischen Hypothesen abgeleitet werden. Angesichts der Komplexität des Umbruchsprozesses und der deshalb notwendigerweise auf einem abstrakteren Niveau ansetzenden, zudem nach wie vor im Fluß befindlichen Umbruchs- und Transformationstheorien, wäre dies – will man den Gesamtprozeß im Auge behalten - weder möglich noch methodisch angemessen. Vielmehr erscheint es zutreffender, solche Überlegungen als interpretatorischen Rahmen der in empirischer Begleitung des sozialen Umbruchs beobachteten kriminologisch relevanten Prozesse zu begreifen, wobei hier insbesondere die zeitlichen (univariaten) Verläufe der Kriminalität im Dunkelfeld (aufgrund von Opferbefragungen) sowie der Kriminalitäts- und Sanktionseinstellungen in Betracht kommen (zu entsprechenden Interpretationen der Kriminalitätsentwicklungen im Hellfeld unter Einschluß der DDR-Kriminalstatistik, siehe Kerner 1997).

    Über eine so verstandene empirische Begleitforschung hinaus wurden in einem engeren analytischen Sinne - vor allem im Rahmen der Erhebungen aus dem Jahre 1993 - multivariate Untersuchungen der einzelnen Phänomenbereiche mit jeweils (umbruchs-) spezifischeren theoretischen Konzepten vorgenommen. Dies betraf sowohl die Opferwerdung (Ewald und Langer 1997), die Tatbegehung (Boers 1995; Posner 1997) als auch die Sanktionseinstellungen (Sessar 1997) und die Kriminalitätsfurcht (Boers und Kurz 1997) sowie als qualitative Erhebung die Kontrollstile und Einstellungen von Akteuren der formellen Sozialkontrolle in den neuen Bundesländern (Polizisten und Strafjuristen, Korfes 1997).

    In der vorliegenden Befragung konzentrierte sich dieses weitergehende analytische Interesse auf die inzwischen in das Zentrum der kriminalpolitischen Diskussion gerückten Kriminalitätseinstellungen. Schon in der ersten Erhebung aus dem Jahre 1991 war die umbruchsbedingte Zunahme der Kriminalitätsfurcht (sowie weitere personaler Kriminalitätseinstellungen) in den neuen Bundesländern anhand eines auf früheren Untersuchungen beruhenden (Boers 1991, S. 183 ff.; 1993) interaktiven Verständnismodells analysiert worden (Boers 1994). Dieses Modell wurde für die Analyse der zweiten Befragung unter Berücksichtigung sozialer Milieus und kulturell-normativer Orientierungen erweitert (Boers und Kurz 1997). Obgleich die verschiedenen und differenzierenden Komponenten sozialer Milieus (vor allem mit Blick auf die Lebensstile) in nur begrenztem Umfang erhoben werden konnten, stellte sich schon in jener Erhebung heraus, daß die furchtsamen und nicht-furchtsamen Probandengruppen in Ost- und Westdeutschland jeweils unterschiedlichen sozialen Milieus angehörten.

    Wegen der begrenzten Forschungsmittel konnte der Milieuansatz in der vorliegenden Befragung nicht weiter vertieft werden. Allerdings wurden hier erstmalig unterschiedliche Reaktionen zur Bewältigung von kriminalitätsrelevanten Gefahrsituationen (sogenannte Copingfähigkeiten) operationalisiert. Dies ist insofern bedeutend, als Copingfähigkeiten einen näheren Aufschluß über die kognitive Regulierung von Gefahrsituationen geben können, die nach unserer (insoweit auf Lazarus und Averill, 1972, zurückgehenden) Auffassung für ein genaueres Verständnis der unterschiedlichen Furchtgrade in der Bevölkerung eine zentrale Rolle spielen. Ergänzend wurden Einstellungen zu Geschlechtsrollenkonzepten erhoben, um im Hinblick auf die regelmäßig die größte Kriminalitätsfurcht äußernde Bevölkerugsgruppe, die Frauen, die Copingfähigkeiten auch unter dem Aspekt einer größeren sozialen Verletzbarkeit genauer untersuchen zu können; mangels genauerer empirischer Erhebungen beschränken sich Vulnerabilitätshypothesen bislang im wesentlichen auf Aussagen über die größerer physische Verletzbarkeit von Frauen.

    Im folgenden Forschungsbericht werden nach einer Erläuterung der Stichproben sowie Erhebungs- und Auswertungsmethoden (2.) zunächst die univariaten Verteilungen der für die weitere Zusammenhangsanalyse wichtigsten demografischen und sozialstrukturellen Variablen sowie sozialer Einstellungen (sozialer Problemvergleich) und Wahrnehungen (soziale Desorganisation) dargestellt (3.). Im 4. Abschnitt geht es sodann um die Kriminalitätsentwicklung anhand von Opferbefragungen einschließlich der bivariaten Zusammenhänge mit Viktimisieurngserfahrungen. In den beiden letzten Abschnitten werden die Befunde von uni-, bi- und multivariaten Analysen der personalen Kriminalitätseinstellungen (5.) und Sanktionseinstellungen (6.) berichtet. Bei den Kriminalitätseinstellungen werden zum besseren Verständnis auch die anhand der Befragung aus dem Jahre 1993 mit Hilfe multipler Korrespondenzanalysen gewonnen Befunde zum Zusammenhang mit Strukturen sozialer Milieus zusammenfassend wiedergegeben (ausführlich Boers und Kurz 1997, S. 219 ff.). Gegenüber bereits erfolgten Veröffentlichungen enthält der Bericht eine umfassende Darstellung der uni- und bivariaten Zusammenhänge sowie erstmalige multivariate Analysen der Sanktionseinstellungen sowie der Kriminalitätseinstellungen unter Einbeziehung von Copingfähigkeiten.

     

  3. Stichproben, Erhebungs- und Auswertungsmethoden
    1. Stichproben, Erhebungs- und Auswertungsmethoden

Die hier vorzustellenden Ergebnisse beruhen nicht nur, sondern auch im wesentlichen auf den ost-westdeutschen Repräsentativbefragungen zum Thema "Sozialer Umbruch und Kriminalität" (deutsche Wohnbevölkerung ab 16 Jahre), die seit 1991 zum Teil in Kooperation mit Hamburger und Berliner Kollegen und mit Sachbeihilfen der Deutschen Forschungsgemeinschaft durchgeführt wurden. Im einzelnen handelte es sich dabei um

 

 

Die Feldarbeiten wurden im Rahmen des Sozialwissenschaften-BUS von GFM-GETAS, Hamburg, in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Umfragen, Meinungen und Analysen (ZUMA), Mannheim, ausgeführt. Die Befragung erfolgte durch mündliche Interviews anhand vollstrukturierter Fragebögen. Die Rücklaufquoten lagen zwischen 67% und 72%.

Die Ziehung der Stichproben erfolgte mit Hilfe des ADM-Master-Sample und wurde im Feld durch ein Random-Route-Verfahren realisiert. Da dieses Auswahlverfahren auf Haushalten als kleinsten Einheiten bei der Ziehung basiert, ist die Auswahlwahrscheinlichkeit nicht für jede Person der Grundgesamtheit gleich groß, sondern umgekehrt proportional zur Haushaltsgröße. Um daher zu einer Personenstichprobe zu gelangen, müssen entsprechende Gewichtungen vorgenommen werden. In die Gewichtung der tatsächlich realisierten Datenbasis fließen bei durch das ADM-Master-Sample realisierten Stichproben immer auch Anpassungen an die Grundgesamtheit nach den Strukturvorgaben der amtlichen Statistik ein, und zwar aufgrund der Merkmale Bundesland, politische Ortsgrößenklassen, Geschlecht sowie dem Alter (getrennt nach Männern und Frauen). Diese Datenaufbereitung ist notwendig, um Interviewausfälle, die sich nicht gleichmäßig auf alle Bevölkerungsgruppen verteilen, zu bereinigen und repräsentative Ergebnisse zu erzielen.

Beim Vergleich der ungewichteten Daten mit der amtlichen Statistik fällt auf, daß in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Berlin-West und Sachsen zu wenige Interviews, wohingegen in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Brandenburg zu viele Interviews realisiert wurden. Weiterhin wurden in kleineren Gemeinden und Städten zu wenige und in Großstädten zu viele Interviews geführt. Hinsichtlich der Altersstruktur waren die Ausschöpfungsquoten bei den 16-19jährigen, den 40-49jährigen und den 50-59jährigen zu gering, während bei den 30-39jährigen und den über 60jährigen wiederum zu viele Interviews realisiert wurden. Das Geschlechterverhältnis war bei allen Teilstichproben ausgewogen.

Eine ausführliche deskriptive Beschreibung der soziodemographischen Variablen findet sich in Abschnitt 3.

 

    1. Verwendete Methoden

Tabellarisch oder graphisch werden generell nur statistisch – auf dem Chi²-Maß basierende – signifikante Resultate ausgewiesen, wobei eine Irrtumswahrscheinlichkeit von höchstens 5% akzeptiert wird. Die Zusammenhänge werden je nach Datenkonstruktion und Skalenniveau mit den entsprechenden Assoziationsmaßen gemessen (und Abweichungen hiervon angegeben). Bei 2x2 Tabellen wird der Phi-Koeffizient, bei darüber hinausgehenden nominalen Skalen Cramer’s V angewendet. Da der Gebrauch von Korrelationskoeffizienten, einschließlich der standardisierten Korrelationsmatrizen bei Faktorenanalysen bei Einstellungsfragen und die Unterteilung der dabei erzielten Faktorenwerte in gleiche Abstände (z.B. Quintilisierung) die Existenz von Intervallskalen suggeriert, obwohl meist Ordinalskalen zugrunde liegen, werden für die Berechnung von Zusammenhängen, wie auch als Ausgangsmatrizen für weitergehende Analysen, die von Kendall entwickelten Korrelationsmaße Taub (für quadratische Tabellen) und Tauc (für rechteckige Tabellen) zu Hilfe genommen. Abweichungen der beobachteten von den erwarteten Werten werden grundsätzlich nur dann berichtet, wenn die auf das Chi²-Maß aufbauenden standardisierten Residuen signifikante Abweichungen auf 95%-Niveau bestätigen (sresid >1.96). Solche signifikanten Zellenabweichungen werden in den entsprechenden Tabellen und Schaubildern mit "*" gekennzeichnet.

Bei den zur Indexbildung herangezogenen Faktorenanalysen handelt es sich um Hauptkomponenten-Analysen mit Varimax-Rotation, bei denen jede der eingebrachten Variablen einen MSA-Wert nach Kaiser, Meyer und Olkin von mindestens .7 erreicht. Das aus der Anti-Image-Korrelationsmatrix abgeleitete Gesamt-MSA-Maß (measure of sampling adequacy) darf dabei, bei für die Indexbildung relevanten Faktoranalysen, nicht kleiner als .6 sein. Zudem wurden für die weitere Verwendung nur Faktoren mit einem Eigenwert größer 1 und ausschließlich Variablen, deren Faktorladung auf dem jeweils relevanten Faktor größer .5 ist, zugelassen. Faktorenanalysen, die zur Entdeckung latenter Strukturkomponenten eingesetzt werden, basieren auf der Hauptachsen-Methode und werden, um dem überwiegend ordinalen bzw. nominalen Skalenniveau der Ausgangsvariablen Rechnung zu tragen, mittels modifizierter (siehe oben) Korrelationsmatrizen kontrolliert. Zusätzlich werden solche Strukturzusammenhänge üblicherweise noch mit den nachfolgend beschriebenen kategorialen Faktorenanalysen des GIFI-Systems verifiziert.

Um die Komplexität der theoretischen Modelle mit ihren Interdependenzen auf der Makro- und Mikroebene abbilden zu können, werden Analysemethoden verwendet, die nicht von vornherein auf ein abhängiges Phänomen (z. B. Kriminalitätsfurcht) abheben. Alle theoretisch relevanten Faktoren sollen in den Analysen gleich berücksichtigt werden. Eine vorschnelle Einengung der beobachteten Zusammenhänge in der Form von "Ursache-Wirkung-Beziehungen" kann mit einem symmetrischen Ansatz vermieden werden. Für eine solch explorative Vorgehensweise ist insbesondere das sogenannte "GIFI-System", geeignet. Dieses Methodenset (u. a. multiple Korrespondenzanalysen und kategoriale Faktorenanalysen) wurde speziell für die qualitative (d. h. explorative) Analyse kategorialer Daten - nichts anderes findet sich in unserem Datensatz - entwickelt.

Gegenüber den üblicherweise verwendeten und für intervallskalierte Variablen konzipierten Faktorenanalysen haben Korrespondenzanalysen den Vorteil, daß sie durch die Berücksichtigung des (kategorialen) Skalenniveaus einen geringeren Transformationsverlust bei der Reduktion der Daten- und Informationskomplexität aufweisen. Anders gesprochen: Bei der Bildung von neuen Faktoren (die häufig die Basis von Indizes darstellen), wird jede Antwortvorgabe unabhängig und gleichberechtigt behandelt und nicht eine notwendige Rangfolge der Kategorien hergestellt (was bei den üblichen Verfahren für intervallskalierte Daten nahezu ausschließlich zu einem Verlust an Informationen führt).

Allgemein besteht die Aufgabe von multiplen Korrespondenzanalysen darin, die Zusammenhangsstruktur von mehreren nominalskalierten Variablen durch eine räumliche Darstellung der Ausprägungen in einem q-dimensionalen Raum, der von (gebildeten) quantitativen Variablen aufgespannt wird, darzustellen. Im Ergebnis entstehen dann geometrische Bilder, die einen explorativen Zugang zu den zwischen den in die Analyse eingebrachten Variablenkategorien bestehenden Beziehungsstrukturen erlauben. Freilich steht dem der Verlust an Repräsentativität, d. h. die Möglichkeit des Rückschlusses auf die Grundgesamtheit gegenüber. Damit wird einerseits einer der Hauptvorteile der linearen Verfahren, nämlich im Wege einer Komplexitätsreduktion auf weniger komplexe kausale Modelle Hypothesen testen zu können, aufgegeben, andererseits aber - wegen der Verwendung komplexerer Modelle - die Möglichkeit gewonnen, einen umfassenderen empirischen Horizont interpretativ erschließen zu können.

 

  1. Grundverteilungen zentraler demografischer und sozialstruktureller Variablen sowie sozialer Einstellungen und Wahrnehmungen
    1. Geschlecht und Alter
      1. Geschlecht
      2. Geschlechtsspezifisch ergaben sich zwischen den beiden Stichproben (West, Ost) keine wesentlichen Unterschiede. So waren in Ost- und Westdeutschland anteilsmäßig mehr Frauen als Männer unter den Probanden.

        Tabelle 1: Geschlechtsstruktur

         

        Männer

        Frauen

        Gesamt

        West

        943

        1057

        2000

         

        47%

        53%

        100%

        Ost

        471

        529

        1000

         

        47%

        53%

        100%

        Gesamt

        1413

        1587

        3000

         

        47%

        53%

        100%

      3. Alter

      Die Altersgruppenbeziehungen stimmten in beiden Landesteilen weitgehend überein. Die Gruppe der 45-64jährigen stellte mit 32% die jeweils größte Gruppe dar, gefolgt von den 25-34jährigen mit 21% in den alten und 23% in den neuen Bundesländern. Die 16-24jährigen machten mit 12% (West) bzw. 11% (Ost) die kleinste Gruppe aus.

       

      Tabelle 2: Altersstruktur

       

      16-24

      25-34

      35-44

      45-64

      >65

      Gesamt

      West

      222

      422

      303

      644

      392

      1983

       

      12%

      21%

      15%

      32%

      20%

      100%

      Ost

      106

      230

      173

      323

      167

      999

       

      11%

      23%

      17%

      32%

      17%

      100%

      Gesamt

      328

      652

      476

      967

      559

      2982

       

      11%

      22%

      16%

      32%

      19%

      100%

       

    2. Gemeindeklassen
    3. Die Wohnortgrößen wurden in vier Gemeindeklassen eingeteilt. Auch hier konnte eine weitgehende Übereinstimmung zwischen Ost- und Westdeutschland festgestellt werden. So waren die Bewohner von Gemeinden bis zu 20.000 Einwohnern mit 39% (West) bzw. 45% (Ost) die jeweils am stärksten vertretene Gruppe, während die Großstädter (100.000-500.000 Einwohner) die kleinste Gruppe darstellte.

       

      Tabelle 3: Gemeindeklassen

       

      <20.000

      20.000-

      100.000

      100.000-

      500.000

      >500.000

      Gesamt

      West

      771

      546

      328

      355

      2000

       

      39%

      27%

      16%

      18%

      100%

      Ost

      445

      213

      109

      233

      1000

       

      45%

      21%

      11%

      23%

      100%

      Gesamt

      1216

      759

      437

      588

      3000

       

      40%

      25%

      15%

      20%

      100%

       

    4. Schicht und Bildung
      1. Schicht
      2. Bei dem von GETAS/ZUMA vorgegebenen Erhebungsinstrument der subjektiven Schichteinordnung handelt es sich um eine achtstufige Skala. Allerdings ordneten sich die meisten Probanden den unterschiedlichen Mittelschichten zu, so daß demnach nur rund 3% zur Unterschicht gehören würden. Es ist zu vermuten, daß es sich hierbei um eine verzerrte Verteilung handelt, die wohl darauf beruht, daß die betroffenen Probanden eine "selbstdiskriminierende" Einteilung zur "Unterschicht" zu umgehen trachteten und deshalb auf die Antwortvorgabe "untere Mittelschicht" ausgewichen sind. Dieser Befund stellt die interne Validität der "subjektiven Schichteinordnung" in Frage. Zur Korrektur wurde deshalb die ursprünglich achtstufige Skala in eine dreistufige umgewandelt. Die neue Stufe der Unterschicht wurde aus der "Unterschicht" und der "unteren Mittelschicht", die Stufe der Mittelschicht aus "mittlerer und oberer Mittelschicht" gebildet und die Oberschicht wurde beibehalten.

        Tabelle 4: Ursprüngliche subjektive Schichteinordnung nach GETAS, ZUMA. (US: Unterschicht, UMS: Untere Mittelschicht, MMS: Mittlere Mittelschicht, OMS: Obere Mittelschicht, OS: Oberschicht, KDS: Keine dieser Schichten, EA: Einstufung abgelehnt, WN: Weiß nicht)

         

        US

        UMS

        MMS

        OMS

        OS

        KDS

        EA

        WN

        Gesamt

        West

        37

        326

        1086

        318

        26

        19

        83

        104

        1999

         

        2%

        16%

        55%

        16%

        1%

        1%

        4%

        5%

        100%

        Ost

        49

        292

        460

        49

        4

        19

        53

        71

        997

         

        5%

        29%

        46%

        5%

        1%

        2%

        5%

        7%

        100%

        Gesamt

        86

        618

        1546

        367

        30

        38

        136

        175

        2996

         

        3%

        21%

        52%

        12%

        1%

        1%

        4%

        6%

        100%

         

        Tabelle 5: Rekodierte subjektive Schichteinordnung

         

        Unterschicht

        Mittelschicht

        Oberschicht

        Gesamt

        West

        362

        1404

        26

        1792

         

        20%

        78%

        2%

        100%

        Ost

        341

        509

        4

        854

         

        40%

        59%

        1%

        100%

        Gesamt

        703

        1913

        30

        2646

         

        27%

        72%

        1%

        100%

         

        Auch nach dieser Rekodierung war in den alten und neuen Bundesländern die Mittelschicht am stärksten besetzt, wohingegen sich die Oberschicht als kleinste Gruppe darstellte. Aus den genannten Validitätsgründen ist sie hinsichtlich einer "objektiven Schichtordnung" mit Vorbehalt zu interpretieren.

         

      3. Bildung

      Bezogen auf den Bildungsstand der Befragten ergab sich wiederum in beiden Landesteilen die gleiche Struktur. Die anteilsmäßig kleinste Gruppe stellten die Probanden dar, die über kaum eine Ausbildung verfügten, gefolgt von denen, die eine Fach-/Universitätsausbildung hatten. Am häufigsten vertreten waren die befragten Personen, die mindestens eine Lehre oder das Abitur hatten.

       

      Tabelle 6: Bildung

       

      Kaum (Aus)bildung

      Mindestens

      Lehre

      Abitur

      Mittlere Reife

      Fachausbildg.

      Uni

      Gesamt

      West

      346

      734

      527

      350

      1956

       

      18%

      37%

      27%

      18%

      100%

      Ost

      92

      247

      400

      235

      974

       

      10%

      25%

      41%

      24%

      100%

      Gesamt

      438

      981

      927

      585

      2930

       

      15%

      33%

      32%

      20%

      100%

       

    5. Wahlpräferenzen
    6. Bezüglich der Wahlpräferenzen ergaben sich zwischen den beiden Stichproben (West, Ost) keine wesentlichen Unterschiede. So stellte sich die CDU als die Partei heraus, welche die größte Zustimmung fand, gefolgt von der SPD, den Grünen und der FDP, wobei in den neuen Bundesländern die PDS noch vor den Grünen lag.

       

      Tabelle 7: Wahlpräferenzen

       

      CDU

      SPD

      FDP

      GRÜ

      REP

      PDS

      Andere

      K. A.

      Gesamt

      West

      537

      524

      61

      165

      12

      7

      17

      311

      1634

       

      33%

      32%

      4%

      10%

      0.7%

      0,3%

      1%

      19%

      100%

      Ost

      221

      185

      41

      63

      0

      74

      9

      208

      803

       

      28%

      23%

      5%

      8%

      0%

      9%

      1%

      26%

      100%

      Gesamt

      759

      710

      102

      228

      12

      81

      26

      519

      2437

       

      31%

      30%

      4%

      9%

      1%

      3%

      1%

      21%

      100%

       

    7. Beunruhigung über soziale Probleme
    8. In den neuen Bundesländern wurden sowohl 1991 als auch 1993 und 1995 "Organisierte Kriminalität", "Arbeitslosigkeit" und "Aggressivität und Gewalt" als die bedeutsamsten sozialen Probleme benannt. Ebenso wurde "die Kriminalitätsentwicklung", der "politische Rechtsradikalismus" und "der Zustand der Umwelt" auch fünf Jahre nach der Wiedervereinigung als großes soziales Problem wahrgenommen. Jeweils rund die Hälfte der Befragten äußerte sich noch ziemlich und sehr beunruhigt hinsichtlich sozialen Problemen, die in den neuen Bundesländern bis zur Wende eher selten vorgekommen sein dürften, wie "sozialer Abstieg", "Bestechung", und "Verlust der Wohnung", als problematisch (wobei die Beunruhigung über letzteres seit 1993 beziehungsweise 1995 zugenommen hat). Auffallend ist, daß "der Verbleib von SED-Leuten in Führungspositionen" bereits fünf Jahre nach der Wiedervereinigung nicht mehr als zentrales Problem wahrgenommen wird.

      Tabelle 8: Beunruhigung über soziale Probleme

      Ziemlich beunruhigt

      sehr beunruhigt

      Ost

      Ost

      Ost

      West

      West

      Ost

      Ost

      Ost

      West

      West

      1991

      1993

      1995

      1993

      1995

      1991

      1993

      1995

      1993

      1995

      Organisierte Kriminalität

      -

      24,9

      28,7

      34,9

      39

      -

      66,1

      61,6

      48,5

      46,7

      Arbeitslosigkeit

      29,1

      23

      25,6

      32,3

      35,1

      54,3

      60,7

      59,8

      25,3

      33,6

      Aggressivität und Gewalt

      39,2

      28,5

      33,9

      36,2

      42,8

      43,7

      61,3

      56,1

      50,8

      38,1

      Kriminalitätsentwicklung

      -

      26,5

      34,2

      41

      46,5

      -

      65,4

      55,2

      42,7

      35,3

      Pol. Rechtsradikalismus

      38

      30,7

      37,7

      27,1

      40

      32,7

      56,3

      43,7

      59,3

      36,6

      Zustand der Umwelt

      37,9

      41,3

      48,9

      42,2

      41,1

      43,9

      43,1

      38,3

      35,2

      43,5

      Bestechung

      -

      33

      38,5

      37,2

      42,1

      -

      47,1

      35,1

      35,3

      26,9

      Sozialer Abstieg

      43,5

      36,3

      43,4

      33

      32,6

      30,6

      37,6

      27,2

      15,5

      13,2

      Verlust der Wohnung

      28,9

      24,6

      23,3

      22,6

      20,8

      19,4

      27,5

      23,7

      14,6

      13,6

      Pol. Linksradikalismus

      -

      35,2

      32,6

      33,4

      34

      -

      27,6

      22,6

      28,6

      18,1

      Rentenversicherung

      35,2

      30

      42

      38

      39,2

      24,1

      29,5

      19,9

      26,8

      25,1

      Verlust von Familienbindung

      23,2

      26,9

      24,1

      24,1

      28,5

      10,8

      18,2

      17,7

      15,4

      17,2

      Verbl. ehem. SED-Leute

      28,8

      24,1

      19,6

      26,7

      27,7

      45,1

      20,9

      17,6

      23,6

      15,4

      Zuzug von Asylbewerbern

      33,4

      31,3

      28,1

      34,5

      33,3

      14,1

      19,1

      14,1

      30,3

      21

      Ungleichh. v. Män. u. Frauen

      21,6

      32

      32,9

      20,5

      21,9

      8,6

      18,6

      10,1

      7,3

      5,9

      Zusammengehörigkeitsgefühl

      -

      32,3

      -

      -

      21,3

      -

      Neue Bundesländer 1991 (n=2.011), 1993 (n=2.212) und 1995 (n=1.095) sowie alte Bundesländer 1993 (n=2.034) und 1995 (n=2.114). Angaben in Prozent von "ziemlich" bzw. "sehr beunruhigt".

      Für Westdeutschland fiel vor allem auf, daß die Wahrnehmung sozialer Probleme weit geringer als im Osten ausfällt. Hier mag die Gewöhnung oder hinsichtlich der Arbeitslosigkeit auch die geringere Betroffenheit eine Rolle spielen. Ebenso dürften einige der erfragten Phänomene, insbesondere "Verlust der Wohnung", "Verbleib von SED-Leuten in Führungspositionen" oder "politischer Rechtsradikalismus" im Westen tatsächlich geringere soziale Relevanz haben. Dafür, daß außer der Problemhäufigkeit auch der politische Diskurs von Bedeutung ist, spricht auch die im Westen andere Problemrangfolge: Nach der in beiden Teilen am häufigsten genannten "Organisierten Kriminalität" folgt im Westen mit "dem Zustand der Umwelt" ein in der Problemwahrnehmung überwiegend im Osten noch zurückgedrängtes Problem.

      Die Beunruhigung über soziale Probleme wurde aufgrund einer Faktorenanalyse zu drei Indices zusammengefaßt. Der erste Index bezieht sich auf die Beunruhigung über: soziale Ungleichheit zwischen Männern und Frauen; sozialer Abstieg; Arbeitslosigkeit; Rentensicherung sowie Gewalt in unserer Gesellschaft (im folgenden mit "Sozio-ökonomische Probleme" bezeichnet). Der zweite Index besteht aus: Rechtsradikalismus; Kriminalitätsentwicklung, Organisierte Kriminalität und Bestechung ("Politische Probleme"). Der dritte Index umfaßt: Verlust der Wohnung und Verlust von Familienbindungen ("Familiäre Probleme"). Die einzelnen Ergebnisse hierzu werden jeweils im Rahmen der Kriminalitätseinstellungskomponenten weiter unten dargestellt.

       

    9. Wahrnehmung sozialer Desorganisation

    Die "soziale Desorganisation" wird in kriminologischen Studien aus der Wahrnehmungsperspektive der Bewohner eines Wohnviertels erhoben. Der jeweilige Grad "sozialer Desorganisation" hängt demnach davon ab, inwieweit bestimmte "Zeichen sozialer Desorganisation" für ein Wohnviertel von dessen Bewohnern als Problem angesehen werden. Die von uns in den ost- und westdeutschen Befragungen verwendeten "Zeichen sozialer Desorganisation" bewegen sich in einer Grauzone von Verhaltensweisen zwischen nicht- und leichtdelinquenter Devianz. Ihnen ist gemein, daß sie einen allgemeinen Zustand der Normlosigkeit, einen Verlust an sozialer Organisation und Kontrolle im alltäglichen Leben einer Nachbarschaft symbolisieren können. Sie dienen hier der Beschreibung von umbruchsbedingten Veränderungen im sozialen Nahbereich. In Verbindung mit der Analyse von Kriminalitätseinstellungen können sie zur weiteren Klärung der Frage beitragen, ob sich die Kriminalitätsfurcht und die persönliche Risikoeinschätzung fast ausschließlich auf Erscheinungsformen der Kriminalität beziehen oder darüber hinaus auch mit Phänomenen in Zusammenhang stehen, die als soziale Desorganisation der Nachbarschaft wahrgenommen werden.

    Tabelle 9: Wahrnehmung von Zeichen sozialer Desorganisation im Wohnviertel.

    ziemlich großes Problem

    großes Problem

    Ost

    Ost

    Ost

    West

    West

    Ost

    Ost

    Ost

    West

    West

    1991

    1993

    1995

    1993

    1995

    1991

    1993

    1995

    1993

    1995

    Undisziplinierte Autofahrer

    29,6

    38,3

    37

    32,1

    33,8

    24,6

    26,8

    28,2

    16,3

    15,4

    Schließung öffentl. Einrichtg.

    -

    32,7

    31,3

    -

    18,8

    -

    24,8

    27

    -

    10,3

    Nichtstuende Jugendliche

    32

    33,3

    34,3

    27,4

    25,7

    16,4

    19,5

    19,7

    9,5

    11,9

    Drogenabhängige

    -

    11,1

    10,8

    19,4

    19,3

    -

    11,8

    17,7

    18,2

    16,7

    Leerstehende Gebäude

    25,5

    24,5

    25,4

    13,9

    13,8

    17,4

    14,5

    17,6

    3,1

    4,4

    Schmutz/Müll

    34,9

    32,3

    30,1

    22,9

    24,7

    17,1

    14,3

    17,3

    10,4

    10,4

    Betrunkene

    22,6

    27,6

    22,8

    24

    24,9

    6,8

    15,1

    16,4

    11,3

    11,3

    Besprühte/beschm. Hauswde.

    17

    21

    20

    17,9

    18,9

    7,8

    9,4

    16,1

    8,6

    8

    Zerstörte Telefonzellen

    24,7

    28,2

    24,5

    22,6

    20,6

    16,8

    15,3

    15,4

    10

    8,6

    zu viele Ausländer/Asylanten

    -

    19

    16,7

    25,3

    23,1

    -

    11,5

    9,9

    20,8

    15,8

    Hausierer/fliegende Händler

    32,2

    20,8

    18,3

    15,6

    13,6

    15,9

    10,8

    9,6

    4,9

    5,8

    Herumstehende Autowracks

    29,4

    22,2

    14,6

    9

    9,3

    14,1

    9,5

    7

    4

    4,4

    Neue Bundesländer 1991 (n=2.011), 1993 (n=2.212) und 1995 (n=1.095) sowie alte Bundesländer 1993 (n=2.034) und 1995 (n=2.114). Angaben in Prozent von "ziemlich großes" bzw. "großes" Problem.

    In den neuen Bundesländern wurden sowohl 1991 als auch 1993 und 1995 "undisziplinierte Autofahrer" als das bei weitem größte Nachbarschaftsproblem (nahezu zwei Drittel der Befragten betrachteten dies als "ziemlich großes" und "großes Problem"). Ebenso wurde die "Schließung öffentlicher Einrichtungen" auch noch fünf Jahre nach der Wiedervereinigung als großes Problem wahrgenommen. Jeweils rund die Hälfte der Befragten bewertete sodann Erscheinungen, die im Straßenbild der neuen Bundesländer bis zur Wende eher selten vorgekommen sein dürften, wie "Schmutz und Müll", "zerstörte Telefonzellen" sowie "Betrunkene" und "Drogenkonsumenten", als problematisch (wobei letztere seit 1993 beziehungsweise 1995 häufiger als Problem angesehen werden). Auffallend ist, daß "nichtstuende Jugendliche" am dritthäufigsten als Nachbarschaftsproblem genannt wurden. Möglicherweise ist dies auf generationsbedingte, vielleicht auch von außen ideologisierte Konflikte zurückzuführen. "Hausierer", "herumstehende Autowracks", "Ausländer und Asylbewerber" sowie "beschmierte Hauswände" wurden 1995 noch von rund einem Drittel der Befragten als problematisch angesehen (bei rückläufiger Tendenz für erstere und einem Anstieg für letzteres).

    Für Westdeutschland fiel vor allem auf, daß die Wahrnehmung solcher Probleme weit geringer als im Osten ausfällt. Hier mag die Gewöhnung eine Rolle spielen. Die meisten der erfragten Phänomene, insbesondere "leerstehende Häuser", "herumstehende Autowracks" oder "Schmutz und Müll in den Straßen", dürften im Westen tatsächlich aber auch seltener vorkommen. Dafür, daß die Problemhäufigkeit von Bedeutung ist, spricht (umgekehrt) auch die im Westen andere Problemrangfolge: im Gegensatz zum Osten rangieren hier mit "Drogenabhängigen" sowie mit "Ausländern und Asylbewerbern" Personengruppen an der Spitze der Problemwahrnehmung, die im Westen weit zahlreicher als im Osten sind.

     

  2. Kriminalität im Dunkelfeld (Opferbefragung)
    1. Kriminalitätsentwicklung und sozialer Umbruch
    2. Faßt man die wesentlichen Ergebnisse von nach der Wende durchgeführten Dunkelfelduntersuchungen (vor allem Opferbefragungen) zusammen, dann hat die Kriminalität in den neuen Ländern in den ersten eineinhalb Jahren unerwartet rasch zugenommen und etwa im Frühjahr 1991 westdeutsches Niveau erreicht. Zwischen 1991 und 1993 sind die Kriminalitätsraten sodann weitgehend gleichgeblieben, während zwischen 1993 und 1995 in beiden Landesteilen geringfügige Steigerungen im Bereich der Eigentumsdelikte sowie bei Bedrohung und sexueller Belästigung beobachtet werden konnten (Tabelle 10).

      Bedingt durch die Reorganisation der Polizei und ihres Meldesystems in den neuen Bundesländern sind diese Trends etwas verspätet - erst ab 1993 - auch der Polizeilichen Kriminalstatistik zu entnehmen. Im Jahre 1994 wurden bundesweit mit 6.54 Mio. Straftaten insgesamt zwar etwas weniger Delikte registriert als 1993 (6.75 Mio.), was aber vornehmlich auf einem mit der Verschärfung des Asylrechts zusammenhängenden Rückgang bei den nichtdeutschen Tatverdächtigen beruht (1995 waren es 6.67 Mio., 1996: 6.48 Mio.). Die bedeutsamste Zunahme polizeilicher Registrierungen ergab sich bei deutschen Kindern, Jugendlichen, Heranwachsenden und Jungerwachsenen. Deren Tatverdächtigenziffern sind seit 1994 überproportional angestiegen und liegen inzwischen im Osten zum Teil deutlich höher als im Westen, namentlich bei Gewaltdelikten und beim schweren Diebstahl; die große Ausnahme bilden mit einer nach wie vor erheblich höheren westdeutschen Belastung die Drogendelikte (Bundeskriminalamt 1994; 1995; 1996; 1997; siehe auch Albrecht 1997).

       

      Tabelle 10: Opferprävalenzraten in Ost- und Westdeutschland 1991-1995. Referenzperiode 18 Monate (Quelle: SUK 91, 93 und 95)

      Ost 91

      Ost 93

      Ost 95

      West 93

      West 95

      n =

      2011

      2212

      1095

      2034

      2114

      Eigentumsdelikte

      19

      19

      23

      16

      21

      Kfz-Diebstahl*

      1

      2

      2

      1

      1

      Autoteilediebstahl*

      6

      6

      10

      5

      5

      Autovandalismus*

      10

      10

      14

      8

      11

      Zweiraddiebstahl*

      3

      4

      4

      4

      2

      Fahrraddiebstahl*

      9

      8

      9

      8

      9

      Sonst. Diebstahl

      3

      2

      5

      5

      4

      Betrug***

      10

      5

      7

      4

      5

      Wohnungseinbruch

      2

      2

      2

      1

      2

      Raub

      1

      2

      2

      1

      1

      Handtaschendiebstahl

      2

      2

      2

      1

      2

      KV ohne Waffe

      2

      1

      2

      2

      2

      KV mit Waffe

      1

      1

      1

      0

      0

      Bedrohung

      5

      5

      9

      5

      7

      Sexuelle Belästigung**

      9

      4

      6

      5

      7

      Vergewaltigung**

      0,30

      0,10

      0,10

      0,10

      0,10

      Sex. Mißbrauch**

      0,60

      0,80

      0,90

      0,10

      0,50

      Mietangelegenheit

      -

      1

      1

      1

      1

      Rückgabeangel.

      -

      1

      1

      -

      -

      Übervorteilung

      -

      4

      5

      2

      4

      Schwarz unterlegte Zellen bezeichnen statistisch signifikante (5%-Niveau) Veränderungen gegenüber letzter Befragung. * Nur Besitzer von Fahrrädern und Kfz. ** Nur Frauen. *** Die höhere Rate für 1991 beruht möglicherweise auf einer weitergefaßten Fragestellung in 1991.

      Inwieweit diese Steigerungsraten jüngerer Altersgruppen in der Polizeilichen Kriminalstatistik der realen Lage entsprechen oder (zumindest zu einem nicht unerheblichen Teil) den Eigenheiten der polizeilichen Registrierung oder unterschiedlichen Verfolgungsweisen (so Klein 1997 mit Blick auf die höheren Tatverdächtigenziffern in den neuen Bundesländern) geschuldet sind, ist umstritten. Vor allem wegen des zu kurzen Beobachtungszeitraums und aufgrund der zumindest bis 1994 nicht vergleichbar angestiegenen Verurteiltenziffern bezweifelt Walter (1996) - hinsichtlich der inhaltlichen Zuspitzung nicht zu Unrecht - Pfeiffers (1996, S. 215 ) Interpretation, daß sich hierin bereits eine "starke Zunahme" und ein "besonders hohes Ausmaß" der Kinder- und Jugendkriminalität widerspiegele. Für die Jahre 1995 und 1996 ist immerhin zu ergänzen, daß die westdeutschen Verurteiltenziffern für Raubdelikte bei Jugendlichen und Heranwachsenden (bei Jugendlichen auch die gefährliche Körperverletzung) deutlicher angestiegen, beim Einbruchsdiebstahl jedoch leicht zurückgegangen sind (wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß seit 1995 auch Ostberlin in die Berechnung einbezogen wird, Statistisches Bundesamt 1996, S. 17; 1997, S. 13). Die weitere Entwicklung, vor allem bei den einzelnen Deliktsgruppen, bleibt also abzuwarten, wird aber ohne jährlich wiederholte Täterbefragungen letztlich nicht hinreichend zu klären sein. Hinsichtlich der allein bei deutschen Tatverdächtigen beobachteten Zunahme der polizeilichen Registrierung wird vermutet, daß hierbei insbesondere die (in der Polizeistatistik nicht gesondert ausweisbaren) jungen Aussiedler eine Rolle spielen könnten (zum Beispiel Bundeskriminalamt 1997, S. 81).

      Die Unterschiede in der Entwicklung der polizeilichen Kriminalitätsraten mögen auch mit einem unterschiedlichen und veränderten Anzeigeverhalten zusammenhängen. So sind die Anzeigequoten nach eigenen Erhebungen, nachdem sie 1993 in beiden Landesteilen noch recht ähnlich waren, bei den Eigentumsdelikten, insbesondere aber beim (zum schweren Diebstahl gehörenden) Fahrraddiebstahl, zwischen 1993 und 1995 im Osten gestiegen, während sie im Westen zurückgingen (womit 1995 die Anzeigebereitschaft in den neuen Bundesländern auch insgesamt etwas höher als im Westen lag). Bei anderen Delikten waren Entwicklung und Höhe der Anzeigequote in Ost- und Westdeutschland im wesentlichen gleich.

       

    3. Opferprävalenz
    4. Es wurden für zwei unterschiedliche Referenzperioden (18 Monate und 60 Monate) die Opferwerdungen bezüglich Eigentums-, Gewalt- und Sexualdelikten untersucht. Bei der Untersuchung der Sexualdelikte wurden nur Frauen befragt. Hinsichtlich der Vergewaltigung, der sexuellen Nötigung und dem sexuellen Mißbrauch konnten keine Befunde statistisch interpretiert werden, da die zugrundeliegenden Fallzahlen (teilweise berichteten nur 5 Probandinnen der Oststichprobe von Opferwerdungen) zu gering waren. Daher wurde die Untersuchung der Sexualdelikte auf die sexuelle Belästigung beschränkt (und auch dort nur auf die Referenzperiode von 60 Monaten), da bei diesem Delikt die Fallzahlen am höchsten waren.

       

      1. Geschlecht und Alter
        1. Geschlecht
        2. Der geschlechtsspezifische Vergleich der alten und neuen Bundesländer erbrachte statistisch signifikante Unterschiede nur bei den Eigentumsdelikten. Bei den Gewaltdelikten konnten keine Unterschiede festgestellt werden.

          Bezogen auf Eigentumsdelikte zeigte sich, daß Männer häufiger von Viktimisierungen berichteten als Frauen. Dies konnte sowohl bei einer 18- als auch bei einer 60monatigen Referenzperiode festgestellt werden, wobei der Unterschied zwischen Männern und Frauen deutlicher bei der 60monatigen Referenzperiode zum Ausdruck kam. So berichteten Männer der Weststichprobe um 9,8% und Männer der Oststichprobe um 11,7% häufiger von solchen Delikten betroffen worden zu sein als Frauen (Tabelle 11).

           

          Tabelle 11: Opferprävalenzraten für Eigentumsdelikte und Geschlecht in Ost- und Westdeutschland 1995. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 1.095) und alte Bundesländer (n = 2.114).

          Referenzperiode

           

          Geschlecht

           

          Mann

          Frau

          18 Monate

          Ost

          27,4

          26,8

           

          West

          27,0*

          20,9

          60 Monate

          Ost

          40,0*

          28,3*

           

          West

          38,5*

          28,7*

           

        3. Alter
        4. Für alle drei Deliktsbereiche zeigte sich sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland, daß jüngere Befragte viel häufiger von Opferwerdungen berichteten als ältere. Dies galt für beide Referenzperioden (Tabelle 12 und Tabelle 13). Die Altersunterschiede waren insgesamt eher moderat ausgeprägt (Taub von .17 bis .24; p < .05) und weisen eine im wesentlichen negativ lineare Beziehung auf, wobei die häufigeren Opferwerdungen der jüngeren Probanden am deutlichsten bei den Eigentumsdelikten zum Ausdruck kam. Hier betrug der Unterschied zwischen der jüngsten (16-24 Jahre) und der ältesten Probandengruppe (65 und älter) bei einer 18-monatigen Referenzperiode beispielsweise 32,6% in den alten Bundesländern und 34,1% in den neuen Bundesländern.

          Tabelle 12: Opferprävalenzraten für Gewalt- und Eigentumsdelikte und Alter in Ost- und Westdeutschland 1995. Referenzperiode: 18 Monate. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 1.095) und alte Bundesländer (n = 2.114).

          Deliktsgruppen

           

          Alter

           

          16-24

          25-34

          35-44

          45-64

          >65

          Eigentumsdelikte

          Ost

          43,7*

          33,9*

          31,5

          23,2

          9,6*

           

          West

          42,2*

          32,7*

          26,9

          19,7*

          9,0*

          Gewaltdelikte

          Ost

          16,4*

          4,7

          5,7

          2,8

          2,2

           

          West

          11,7*

          5,6

          4,8

          3,6

          2,2*

           

           

          Tabelle 13: Opferprävalenzraten für sexuelle Belästigung und Alter in Ost- und Westdeutschland 1995. Referenzperiode: 60 Monate. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 529) und alte Bundesländer (n = 1057).

          Opfer

          sexuelle Belästigung

          Alter

           

           

          16-24

          25-34

          35-44

          45-64

          >65

          Ost

          28,0*

          19,8*

          10,0

          4,2*

          0,7

          West

          33,4*

          21,4*

          12,4

          3,2*

          2,6*

           

        5. Beziehungen zwischen Geschlecht, Alter und Opfererfahrungen

        Bei einer gleichzeitigen Berücksichtigung von Geschlecht und Alter zeigte sich der negative Alterszusammenhang noch deutlicher, vor allem bei den Eigentumsdelikten (Schaubild 1).

         

        Schaubild 1: Opferprävalenzraten (in Prozent) für Eigentumsdelikte in Ost (O)- und Westdeutschland (W) 1995. Referenzperiode: 18 Monate.

        Bei den Gewaltdelikten zeigten sich zwischen den höheren Altergruppen auch kurvilineare Beziehungen, ohne jedoch den mit dem Alter rückläufigen Trend aufheben zu können (Schaubild 2).

         

        Schaubild 2: Opferprävalenzraten (in Prozent) für Gewaltdelikte in Ost (O)- und Westdeutschland (W) 1995. Referenzperiode: 18 Monate.

        Bei den Eigentumsdelikten stellten Ostdeutsche insofern eine gewisse Ausnahme dar, als hier der Abwärtstrend erst bei der Altergruppe 35 bis 44 Jahre einsetzte.

      2. Gemeindeklassen
      3. Hinsichtlich aller Deliktsbereiche ergab sich für beide Landesteile die Tendenz, daß Bewohner von Großstädten und Metropolen im Vergleich zu Bewohnern von Gemeinden und kleineren Städten häufiger von Opferwerdungen berichteten. Dies galt für beide Referenzperioden.

        Bei den Eigentumsdelikten berichteten ostdeutsche Probanden, die in Gemeinden mit bis zu 20.000 Einwohnern lebten, die vergleichsweise geringsten Viktimisierungen. So ergab sich bei ihnen eine um 10% geringere Opferbelastung als bei den Probanden der anderen Gemeindeklassen. Die Bewohner von kleineren Städten (20.000-100.000 Einwohner) lagen hinsichtlich der berichteten Opferwerdungen im gleichen Bereich wie die Probanden, die in Großstädten oder Metropolen lebten. Bei den westdeutschen Probanden berichteten auch die Bewohner von kleineren Städten seltener Viktimisierungserfahrungen. Die Gemeindegrößenunterschiede waren mithin im Westen deutlicher ausgeprägt Tabelle 14).

        Tabelle 14: Opferprävalenzraten für Eigentums- und Gewaltdelikte und Gemeindeklassen in Ost- und Westdeutschland 1995. Referenzperiode: 60 Monate. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 1.095) und alte Bundesländer (n = 2.114)

        Deliktsgruppen

        Gemeindeklasse

         

        < 20.000

        20.000 -100.000

        100.000 - 500.000

        > 500.000

        Eigentumsdelikte

        Ost

        28,4*

        38,0

        39,0

        37,9

         

        West

        25,0*

        29,6

        47,2*

        44,2*

        Gewaltdelikte

        Ost

        7,0*

        7,3

        10,0

        19,1*

         

        West

        7,2*

        9,0

        12,1

        14,7*

         

        Bei den Gewaltdelikten ergab sich für beide Landesteile einheitlich eine lineare Tendenz. Die Opferanteile nahmen mit der Gemeindegröße zu.

        Das Gleiche war in beiden Landesteilen bei Probandinnen zu beobachten, die eine sexuelle Belästigung berichtet hatten. Dabei waren allerdings westdeutsche Bewohnerinnen von Großstädten (um 9,4%) häufiger von Opferwerdung betroffen als Frauen, die in Metropolen lebten (Tabelle 15).

         

        Tabelle 15: Opferprävalenzraten für sexuelle Belästigung und Gemeindeklassen in Ost- und Westdeutschland 1995. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 529) und alte Bundesländer (n = 1057). Referenzperiode: 60 Monate.

        Opfer sexuelle Belästigung

        Gemeindeklasse

         

        <20.000

        20.000-

        100.000

        100.000-500.000

        >500.000

        Ost

        8,3

        9,4

        11,3

        13,2

        West

        9,3

        7,6*

        20,9*

        11,5

      4. Schicht und Bildung
      5. Während hinsichtlich der subjektiven Schichteinordnung der Probanden keine statistisch signifikanten Unterschiede festgestellt werden konnten (bei der Oberschicht mögen hierbei die zu geringen Fallzahlen eine wesentliche Rolle gespielt haben, siehe auch Abschnitt 3.3), ergaben sich beim Bildungsabschluß in beiden Landesteilen und für beide Referenzperioden statistisch bedeutsame Zusammenhänge mit Opfererfahrungen durch Eigentumsdelikte und die sexuelle Belästigung. Proband(inn)en mit höherem Bildungsniveau berichten solche Opfererfahrungen häufiger (Tabelle 16 und Tabelle 17).

        Tabelle 16: Opferprävalenzraten für Eigentums- und Gewaltdelikte und Bildung in Ost- und Westdeutschland 1995. Referenzperiode: 60 Monate. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 1.095) und alte Bundesländer (n = 2.114).

         

        Bildung

        Deliktsgruppen

        kaum Ausbildung

        mind. Lehre

        Abi/mittl. Reife

        Fachausbildung

        Eigentumsdelikte

        Ost

        20,7*

        29,9

        37,1

        40,7

         

        West

        22,9*

        29,2*

        38,1

        45,5*

        Gewaltdelikte

        Ost

        9,6

        8,8

        10,9

        10,5

         

        West

        8,8

        9,6

        12,0

        8,2

         

        Hingegen konnten bei den Gewaltdelikten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden (allein "kaum ausgebildete" ostdeutsche Probanden berichteten bei einer Referenzperiode von 18 Monaten keinerlei persönliche Erfahrung mit Gewaltdelikten).

        Bei der sexuellen Belästigung ergab sich ein Unterschied zwischen West- und Ostdeutschland dahingehend, daß westdeutsche Probandinnen, die über kaum eine Ausbildung verfügten und ostdeutsche Probandinnen, die mindestens eine Lehre abgeschlossen hatten, am seltensten betroffen waren.

        Tabelle 17: Opferprävalenzraten für sexuelle Belästigung und Bildung in Ost- und Westdeutschland 1995. Referenzperiode: 60 Monate. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 529) und alte Bundesländer (n = 1057).

        Opfer

        sexuelle

        Bildung

         

        Belästigung

        Kaum (Aus)bildung

        mind. Lehre

        Abi/mittl. Reife

        Fachausbildung

        Ost

        9,8

        3,9*

        12,1

        14,9

        West

        4,3*

        10,9

        16,8*

        12,4

         

      6. Wahlpräferenzen
      7. Insgesamt konnte keine einheitliche Tendenz hinsichtlich parteipolitischer Präferenzen und Opferwerdungen festgestellt werden. So stellten sich je nach Deliktsgruppe und Landesteil Wähler unterschiedlicher Parteien als die jeweils am häufigsten von Viktimisierungen betroffene Gruppe dar.

        Bei den Eigentumsdelikten berichteten die Grünen-Wähler in beiden Landesteilen und bei beiden Referenzperioden die meisten Opferwerdungen (was bei der Weststichprobe deutlicher zum Ausdruck kam). In den alten Bundesländern berichteten die FDP-Wähler und in den neuen Bundesländern die CDU-Wähler jeweils am seltensten Eigentumsviktimisierungen.

        Diese Ergebnisse bezüglich des Wahlverhaltens und der Viktimisierung könnten jedoch aufgrund bivariater Scheinkorrelationen entstanden sein, da diese bivariaten Zusammenhänge in Wirklichkeit nicht Korrelationen mit den Wahlpräferenzen, sondern vermutlich mit der Alters- und Geschlechtsstruktur widerspiegeln (s. auch 3.4).

        Bei der sexuellen Belästigung konnte keine einheitliche Tendenz für Ost- und Westdeutschland festgestellt werden. So berichteten in den alten Bundesländern Wählerinnen der Grünen, in den neuen Bundesländern jedoch die FDP-Wählerinnen die meisten Viktimisierungen. In den alten Bundesländern folgten den Grünen-Wählerinnen die der SPD, der CDU und der FDP, in den neuen Bundesländern den FDP-Wählerinnen die der CDU, der Grünen, der PDS und der SPD.

      8. Beunruhigung über soziale Probleme
      9. Auch hinsichtlich der Beunruhigung über soziale Probleme ergaben sich je nach Deliktsart und Landesteil unterschiedliche Ergebnisse. Teilweise zeigte sich die erwartete Tendenz, daß Probanden, die über soziale Probleme beunruhigt waren, auch häufiger Opferwerdungen berichteten, häufig konnte dieser Zusammenhang jedoch nicht festgestellt werden.

         

        Tabelle 18: Opferprävalenzraten für Eigentums- und Gewaltdelikte und Beunruhigungen über soziale Probleme (allgemeine Perspektive) in Ost- und Westdeutschland 1995. Referenzperiode: 18 Monate. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 1.095) und alte Bundesländer (n = 2.114).

        Deliktsgruppen

        soziale Probleme

         

        nicht

        beunruhigt

        weniger beunruhigt

        ziemlich beunruhigt

        sehr

        beunruhigt

        Eigentumsdelikte

        Ost

        33,7

        26,0

        25,8

        27,2

         

        West

        17,7*

        26,2

        27,5

        24,7

        Gewaltdelikte

        Ost

        2,2

        4,6

        4,8

        6,1

         

        West

        3,2

        3,7

        7,4*

        6,7

        So berichteten hinsichtlich der Gewaltdelikte die nicht beunruhigten Probanden bei den allgemeinen, den politischen und den familiären Problemen in beiden Landesteilen erwartungsgemäß seltener eine Opferwerdung als ziemlich bzw. sehr beunruhigte Befragte (siehe am Beispiel der allgemeinen sozialen Probleme, Tabelle 18).

        Tabelle 19: Opferprävalenzraten für Eigentums- und Gewaltdelikte und Beunruhigungen über soziale Probleme (politische Perspektive) in Ost- und Westdeutschland 1995. Referenzperiode: 18 Monate. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 1.095) und alte Bundesländer (n = 2.114).

        Deliktsgruppen

        soziale Probleme

         

        nicht

        beunruhigt

        weniger beunruhigt

        ziemlich beunruhigt

        sehr

        beunruhigt

        Eigentumsdelikte

        Ost

        28,8

        32,0

        23,3

        24,6

         

        West

        20,3

        24,1

        28,0

        23,7

        Gewaltdelikte

        Ost

        2,5

        4,7

        6,3

        6,1

         

        West

        3,5

        5,4

        5,1

        5,9

        Bei den Eigentumsdelikten zeigte sich jedoch ein indifferentes Bild, da Probanden, die sehr beunruhigt über soziale Probleme waren, nicht unbedingt in höherem Maße Opfer wurden. Im Westen waren hinsichtlich allgemeiner, politischer oder familiärer Probleme nicht beunruhigte Probanden (erwartungsgemäß) am seltensten von Opferwerdungen betroffen. Jedoch erwiesen sich nicht die sehr Beunruhigten als die größte Opfergruppe. Sie lagen anteilsmäßig vielmehr unter den weniger bzw. ziemlich Beunruhigten. Im Osten ergab sich sogar eine negative Tendenz. So berichteten bei den allgemeinen Problemen die nicht beunruhigten und bei den politischen und familiären Problemen die weniger beunruhigten Probanden am häufigsten eine Opferwerdung (Tabelle 19 und Tabelle 20).

         

        Tabelle 20: Opferprävalenzraten für Eigentums- und Gewaltdelikte und Beunruhigungen über soziale Probleme (familiäre Perspektive) in Ost- und Westdeutschland 1995. Referenzperiode: 18 Monate. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 1.095) und alte Bundesländer (n = 2.114).

        Deliktsgruppen

        soziale Probleme

         

        nicht beunruhigt

        weniger beunruhigt

        ziemlich beunruhigt

        sehr

        beunruhigt

        Eigentumsdelikte

        Ost

        23,0

        30,2

        28,6

        27,2

         

        West

        20,2

        25,4

        27,3

        24,8

        Gewaltdelikte

        Ost

        2,8

        4,1

        4,7

        6,7

         

        West

        4,4

        3,1

        4,8

        6,2

         

        Schließlich konnten in beiden Landesteilen auch hinsichtlich der sexuellen Belästigung kaum relevante Unterschiede festgestellt werden. Auffallend war allein, daß westdeutsche Nicht-Opfer auch (etwas) weniger über allgemeine soziale Probleme beunruhigt waren (Tabelle 21). Umgekehrt waren im Osten die sehr beunruhigten Frauen noch seltener Opfer geworden als die nicht beunruhigten.

        Tabelle 21: Opferprävalenzraten für sexuelle Belästigung und Beunruhigung über soziale Probleme (allgemeine Perspektive) in Ost- und Westdeutschland 1995. (Referenzperiode: 60 Monate). Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 529) und alte Bundesländer (n = 1057).

        Opfer

        sexuelle

        Beunruhigung über allgemeine sozial Probleme

        Belästigung

        nicht

        beunruhigt

        weniger beunruhigt

        ziemlich beunruhigt

        sehr

        beunruhigt

        Ost

        8,7

        11,1

        13,3

        7,0

        West

        5,9*

        13,3

        13,3

        12,1

         

      10. Wahrnehmungen von Zeichen sozialer Desorganisation im Wohnviertel
      11. Auch bei der sozialen Desorganisation ergaben sich je nach Landesteil und Deliktsgruppe unterschiedliche, in Ansätzen auch gegenläufige Zusammenhänge.

        Tabelle 22: Opferprävalenzraten für Eigentums- und Gewaltdelikte und Wahrnehmungen von Zeichen sozialer Desorganisation in Ost- und Westdeutschland 1995. Referenzperiode: 60 Monate. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 1.095) und alte Bundesländer (n = 2.114).

         

        Wahrnehmung von Zeichen sozialer Desorganisation

        Deliktsgruppen

        kein Problem

        geringes Problem

        mittleresProblem

        ziemlich

        großes Problem

        großesProblem

        Eigentumsdelikte

        Ost

        22,1*

        27,9

        37,1

        35,3

        39,8

         

        West

        23,7*

        41,8*

        43,5*

        34,0

        33,8

        Gewaltdelikte

        Ost

        9,7

        5,9

        10,6

        9,6

        11,7

         

        West

        6,6*

        8,0

        9,8

        12,9

        13,8*

         

        So waren einerseits im Hinblick auf die Eigentumsdelikte ostdeutsche Probanden aus sozial instabilen Wohnvierteln am häufigsten Opfer geworden, während im Westen diejenigen die größten Opfergruppen stellten, die ihre Nachbarschaft nur als gering oder mittelmäßig problematisch ansahen; der Tendenz nach, allerdings statistisch nicht bedeutsam, traf dies auch für Opfer einer sexuellen Belästigung zu (Tabelle 22 und Tabelle 23).

        Tabelle 23: Opferprävalenzraten für sexuelle Belästigung und Wahrnehmungen von Zeichen sozialer Desorganisation im Wohnviertel in Ost- und Westdeutschland 1995. Referenzperiode: 60 Monate. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 529) und alte Bundesländer (n = 1057).

        Opfer

        Wahrnehmungen von Zeichen sozialer Desorganisation

        sexuelle Belästigung

        kein Problem

        geringes Problem

        mittleres Problem

        ziemliches Problem

        großes Problem

        Ost

        6,3

        6,3

        11,1

        11,9

        12,2

        West

        7,2*

        18,2*

        13,0

        14,1

        8,1

         

        Andererseits nahm in den alten Bundesländern der Anteil der Gewaltopfer mit einer zunehmenden Wahrnehmung von Zeichen sozialer Desorganisation zu, während sich in den neuen Bundesländern diesbezügliche Unterschiede kaum ergaben (Tabelle 22). Diese Zusammenhänge ergaben sich bei beiden Referenzperioden, waren jeoch bei der längeren, 60 monatigen, deutlicher sichtbar.

      12. Zusammenfassung

    Hinsichtlich der Altersstruktur konnte man bei allen Delikten die erwartete Tendenz beobachten. So berichteten Probanden mit zunehmendem Alter seltener Viktimisierungen. Bei den unterschiedlichen Gemeindeklassen zeigte sich, daß Bewohner von Großstädten und Metropolen tendenziell am häufigsten Opferwerdungen berichteten. Mit Ausnahme der Gewaltdelikte stellten sich Probanden, die über einen höheren Bildungsabschluß verfügten, als die am stärksten von Viktimisierungen betroffene Gruppe dar.

    Bezüglich der sozialen Einstellungen, Beunruhigungen und Wahrnehmungen ergab sich ein indifferentes Bild. So berichteten Probanden, die sehr beunruhigt über soziale Probleme waren oder große Probleme der sozialen Desorganisation wahrgenommen hatten, zum Teil auch häufiger eine Opferwerdung, wiesen zum Teil jedoch auch nicht mehr oder sogar weniger Opferwerdungen auf als die nicht beunruhigten Probanden bzw. diejenigen, die keine Zeichen sozialer Desorganisation wahrgenommen hatten. Dies variierte je nach Deliktsgruppen und Landesteilen.

  3. Kriminalitätseinstellungen als subjektive Bevölkerungsreaktionen auf Kriminalitätsphänomene
  4. Im Verlauf des sozialen Umbruchs sind vor allem in Ostdeutschland Kriminalitätseinstellungen (Kriminalitätsfurcht, Risikoeinschätzung Opfer einer Straftat zu werden, Vermeideverhalten und Sanktionseinstellungen) zunehmend in den Mittelpunkt sowohl des wissenschaftlichen als auch des kriminalpolitischen Interesses gerückt. Mittlerweile stellt die Reduktion der Kriminalitätsfurcht neben der traditionellen Kriminalitätsprävention ein selbständiges Ziel sicherheitspolitischer Programme dar. In der Tat waren die gravierendsten Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland bei der Kriminalitätsfurcht festzustellen. Die Kriminalitätseinstellungen stellen deshalb einen Schwerpunkt in der kriminologischen Umbruchsforschung dar.

    Im folgenden wird zunächst auf die Meßinstrumente von Kriminalitätseinstellungen (Operationalisierung) eingegangen (5.1). Danach wird die Verteilung und Entwicklung der Kriminalitätsfurcht (5.2) und des Vermeideverhaltens (5.3) auf Basis der SUK-Befragungen 1991, 1993 und 1995 dargestellt. In kritischer Auseinandersetzung mit herkömmlichen Erklärungsansätzen (5.4) zu den Ursachen der Kriminalitätsfurcht, werden im Abschnitt 5.5 schließlich anhand eines interaktiven Modells zum Verständnis von Kriminalitätseinstellungen die Befunde multipler Korrespondenzanalysen unter Berücksichtigung sozialer Milieus und unterschiedlicher Copingstile vorgestellt.

     

    1. Wie werden Kriminalitätseinstellungen "gemessen"?
    2. Die Kriminalitätsfurcht ist international am häufigsten mit der sog. Standardfrage erhoben worden: Wie sicher fühlen Sie sich, wenn Sie abends im Dunkeln alleine durch die Straßen Ihres Stadtteils/Dorfes gehen? (vier Antwortvorgaben: sehr sicher, ziemlich sicher, etwas unsicher, sehr unsicher). Diese Frage ist als Operationalisierung einer allgemeinen Kriminalitätsfurcht zu betrachten.

      Der häufig geäußerten Kritik, daß mit der Standardfrage in nicht unerheblichem Maße diffuse Ängste erhoben würden, da im Zusammenhang mit schon für sich genommen angstrelevanten Situationen wie "Dunkelheit" oder "Alleinsein" keine bestimmten (deliktischen) Gefahren benannt würden (vgl. Kerner 1980, S. 191; Fattah und Sacco 1989, S. 207 ff.), kann zum Teil dadurch begegnet werden, daß ein nach Delikten differenziertes Erhebungsinstrument, die sogenannte spezifische Kriminalitätsfurcht, verwendet wird, (vgl. Boers 1991, S. 198 ff.; 1993, S. 75 f.): Inwieweit beunruhigt es Sie, abends im Dunkeln in Ihrem Stadtteil/Dorf angepöbelt, zusammengeschlagen, überfallen und beraubt, getötet, sexuell belästigt, angegriffen oder vergewaltigt zu werden? (vier Antwortvorgaben: gar nicht, etwas, ziemlich oder sehr beunruhigt).

      Dem Muster der spezifischen Kriminalitätsfurcht folgend wird die Erhebung der persönlichen Risikoeinschätzung ebenfalls nach Delikten differenziert und auf das eigene Wohnviertel beschränkt: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, daß Sie tatsächlich in Ihrem Stadtteil/Dorf abends im Dunkeln angepöbelt, zusammengeschlagen, überfallen und beraubt, getötet, sexuell genötigt, angegriffen oder vergewaltigt werden könnten? (vier Antwortvorgaben: gar nicht, etwas, ziemlich, sehr wahrscheinlich).

      Mit dieser Deliktsauswahl wird freilich ein eher klassisches, an der Straßenkriminalität orientiertes Kriminalitätsbild reproduziert, in dessen Mittelpunkt die Beeinträchtigung der physischen und psychischen Integrität des Einzelnen steht.

      Andere, vor allem gesellschafts- oder umweltschädigende Deliktsformen, eignen sich indessen weniger als Auslöser einer persönlichen Betroffenheit implizierenden Beunruhigung. Korruption, Steuerhinterziehung, Subventionserschleichung etc. mögen höchst ärgerlich sein, davon fühlt man sich aber allenfalls als Mitglied der Gesellschaft, jedoch in der Regel nicht persönlich bedroht. Umweltprobleme können natürlich auch für den Einzelnen sehr bedrohliche Konsequenzen haben. Allerdings bereitet dann wiederum, da es ja um Einstellungen zur Kriminalität geht, die Abgrenzung zwischen delinquenter und nicht-delinquenter Umweltverschmutzung Probleme. Denn für das persönliche Sicherheitsgefühl ist es letztlich unerheblich, ob man durch legales oder illegales Verhalten schwere Gesundheitsschäden davonträgt. "Umweltverschmutzung" wäre insoweit also weniger als Kriminalitäts-, sondern vielmehr als gesellschaftliches Problem relevant. Wünschenswert wäre auch die Einbeziehung der häuslichen oder fremdenfeindlichen Gewalt (familiäre Opferwerdungen werden in einer Befragung des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen berücksichtigt; die Ergebnisse sind bislang nicht veröffentlicht worden).

      Die Verhaltensreaktionen gegenüber kriminogenen Bedrohungen wurden schließlich wie folgt erhoben: als Vermeideverhalten im Hinblick auf bestimmte Fortbewegungs- und Verkehrsmittel sowie bestimmte Orte (Straßen, Plätze, Parks) und Personengruppen (Jugendliche und Ausländer), als aktives Verhalten zum Schutz der eigenen Person (Mitnahme von Tränengas, Stöcken oder anderen Waffen) und als Maßnahmen zum Schutz des eigenen Haushalts.

       

    3. Die Entwicklung der Kriminalitätsfurcht, persönlichen Risikoeinschätzung und des Vermeideverhaltens seit der Wende
    4. Offenbar vor dem Hintergrund der Tatsache, daß man mit dem sozialen Umbruch auch mit völlig neuen Kriminalitätsbildern konfrontiert wurde, hat die Kriminalitätsfurcht nach der Wende vor allem in den neuen Bundesländern zugenommen und lag dort zeitweise - bei im wesentlichen gleichen Opferraten - doppelt so hoch wie im Westen. Betrachtet man die landesweiten Gesamtraten, dann ist die Kriminalitätsfurcht zwischen 1991 und 1993 nicht weiter angestiegen und bis zum Sommer 1995 sogar wieder zurückgegangen. Bemerkenswert ist jedoch, daß diese Entwicklung in Ostdeutschland keinem über alle Gemeindegrößen hinweg einheitlichen Trend gefolgt ist. Es haben sich vielmehr je nach Gemeindegröße beachtliche Unterschiede in der zeitlichen Entwicklung ergeben, die einem Verzögerungseffekt zu folgen scheinen: Zwischen 1993 und 1995 nahm die Kriminalitätsfurcht auch in den kleineren Großstädten ab (wobei die Furchtraten dort im Jahre 1995 aber immer noch höher als in den Metropolen lagen, Schaubild 3 und Schaubild 4). In den kleineren Städten hat die Kriminalitätsfurcht hingegen, insbesondere in ihren spezifischen Formen, zum Teil erst 1995 das höchste Niveau erreicht (Schaubild 5).

      Schaubild 3: Kriminalitätsfurcht und persönliche Risikoeinschätzung in Metropolen (500.000 Einwohner).

      Neue Bundesländer 1991 (n=273), 1993 (n=223) und 1995 (n=82) sowie alte Bundesländer 1993 (n=338) und 1995 (n=355). Angaben in Prozent von "sehr unsicher" (allgemeine Kriminalitätsfurcht), "sehr beunruhigt" (spezifische Kriminalitätsfurcht = KF) bzw. "sehr wahrscheinlich" (persönliche Risikoeinschätzung = PR); bei Sexualdelikten wurden nur Frauen berücksichtigt.

      Schaubild 4: Kriminalitätsfurcht und persönliche Risikoeinschätzung in Großstädten mit 100.000 - 500.000 Einwohnern.

      Neue Bundesländer 1991 (n=264), 1993 (n=320) und 1995 (n=193) sowie alte Bundesländer 1993 (n=348) und 1995 (n=328). Angaben in Prozent von "sehr unsicher" (allgemeine Kriminalitätsfurcht), "sehr beunruhigt" (spezifische Kriminalitätsfurcht = KF) bzw. "sehr wahrscheinlich" (persönliche Risikoeinschätzung = PR); bei Sexualdelikten wurden nur Frauen berücksichtigt.

      In den westdeutschen Metropolen war die Kriminalitätsfurcht am Ende der 80er Jahre sogar zurückgegangen (München 1989, allgemeine Kriminalitätsfurcht: 1% "sehr unsicher", Lamnek 1991, S. 641; Großstädte über 500.000, Herbst 1990: 6%, Kury et al. 1992, S. 242) und hat im Sommer 1993 in etwa wieder das Niveau von 1985 erreicht (Schwind et al. 1989, S. 133, für Bochum; Boers 1991, S. 278, für Hamburg). Bis zum Sommer 1995 haben sich in Westdeutschland keine wesentlichen Änderungen ergeben; der Tendenz nach haben die spezifischen Furchtarten in Metropolen etwas zu- und in den kleineren Großstädten etwas abgenommen (Schaubild 3 und Schaubild 4).

      Der Sinn der obigen Unterscheidung in verschiedene Dimensionen von Kriminalitätseinstellungen zeigt sich unter anderem darin, daß die ausschließliche Berücksichtigung der allgemeinen Kriminalitätsfurcht bei Bevölkerungsgruppen, die ein höheres Furchtniveau haben (zum Beispiel: Ostdeutsche, Frauen), zu einer nicht unerheblichen Überschätzung des Unsicherheitsgefühles führen kann. So fühlten sich in den kleineren ostdeutschen Großstädten im Sommer 1995 knapp 30% der Befragten nachts in ihrem Wohnviertel "sehr unsicher" (35% "etwas unsicher" - allgemeine Kriminalitätsfurcht). Aber über die konkrete Möglichkeit, zum Beispiel Opfer eines Wohnungseinbruchs, einer Körperverletzung, eines Raubes oder Totschlags zu werden, waren nur zwischen 16% und 20% "sehr beunruhigt" (spezifische Kriminalitätsfurcht). Betrachtet man die Furcht der Frauen, dann wird dieser Unterschied noch deutlicher. So war im Sommer 1995 in den ostdeutschen Metropolen die allgemeine Kriminalitätsfurcht mit 42% "sehr unsicheren" Probandinnen teilweise mehr als doppelt so hoch wie die verschiedenen Formen der spezifischen Kriminalitätsfurcht (Schaubild 6). Hinsichtlich der persönlichen Risikoeinschätzung hielten es hingegen in der Regel kaum ein Zehntel der befragten Männer oder Frauen für "sehr wahrscheinlich", daß sie auch tatsächlich Opfer eines Gewalt- beziehungsweise Sexualdeliktes werden könnten.

       

      Schaubild 5: Kriminalitätsfurcht und persönliche Risikoeinschätzung in Städten mit 20.000 - 50.000 Einwohnern.

      Neue Bundesländer 1991 (n=326) 1993 (n=309) und 1995 (n=168) sowie alte Bundesländer 1993 (n=349) und 1995 (n=345). Angaben in Prozent von sehr unsicher (allgemeine Kriminalitätsfurcht), sehr beunruhigt (spezifische Kriminalitätsfurcht = KF) bzw. sehr wahrscheinlich (persönliche Risikoeinschätzung = PR); bei Sexualdelikten wurden nur Frauen berücksichtigt.

      Schaubild 6: Kriminalitätsfurcht, persönliche Risikoeinschätzung und Geschlecht.

      Neue Bundesländer Großstädte >100.000 Einwohner (n=275) 1995. Angaben in Prozent von sehr unsicher (allgemeine Kriminalitätsfurcht), sehr beunruhigt (spezifische Kriminalitätsfurcht = KF) bzw. sehr wahrscheinlich (persönliche Risikoeinschätzung = PR); bei Sexualdelikten wurden nur Frauen berücksichtigt.

       

      In Westdeutschland und westlichen Gesellschaften ist das Unsicherheitsgefühl in Großstädten, zumal in Metropolen, bislang immer (erheblich) höher als in kleineren Städten und Gemeinden gewesen. Die insofern ungewöhnliche Entwicklung in den neuen Bundesländern hängt offensichtlich (ohne daß jedoch schon genauere Gründe angegeben werden könnten) mit der unterschiedlichen subjektiven Kriminalitätsverarbeitung im Verlauf des Umbruchsprozesses zusammen. Für die Kriminalitätsfurcht in Großstädten gilt jedenfalls generell, daß hiervon nicht alle Stadtviertel, sondern vor allem die in Großstädten häufiger vorkommenden sozial destabilisierten Nachbarschaften betroffen sind.

      Im Hinblick auf die Kriminalitätsfurcht lassen sich im Kontext des sozialen Umbruchs mithin vor allem zwei Phänomene beobachten: Zum einen hängen erhebliche Steigerungen der Kriminalitätsfurcht offenbar nicht mit dem absoluten Kriminalitätsniveau, möglicherweise aber mit einem sprunghaften Anstieg der (Gewalt-) Kriminalität zusammen. Demnach wird die höhere Kriminalitätsfurcht in Ostdeutschland vor allem darauf beruhen, daß der nach der Wende erfolgte Kriminalitätsanstieg sowie das Bekanntwerden von bislang ungewohnten Phänomenen schwerer Kriminalität als qualitative Änderungen der persönlichen Sicherheitslage empfunden wurden.

      Zum anderen könnte der baldige Rückgang der Furcht in den Metropolen (bei den spezifischen Formen sogar auf das westdeutsche Niveau) sowie etwas verzögert auch in den kleineren Großstädten dahingehend interpretiert werden, daß ein anfängliches Erschrecken über die neue Kriminalitätssituation bereits selbstregulativen Anpassungs- und Relativierungsprozessen gewichen ist. Obwohl somit in der "mentalen" Eigendynamik des Umbruchsprozesses ein Ausmaß rückläufiger Tendenzen beobachtet werden kann, das - soweit ersichtlich - im Rahmen kommunaler Präventionsmaßnahmen bislang nicht erzielt werden konnte, so bleibt jedoch angesichts der Gesamtverbreitung des persönlichen Unsicherheitsgefühls in den neuen Bundesländern (insbesondere auch mit Blick auf die ungewöhnlich hohen Raten in den kleineren Städten) einstweilen festzuhalten, daß die Kriminalitätsfurcht zumindest dort ein - neben der Kriminalitätsentwicklung - eigenständiges soziales Problem darstellt.

       

    5. Aufgabe des sozialen Nahbereichs durch Vermeideverhalten?
    6. Daß subjektive Reaktionen gegenüber der Kriminalität ein eigenständiges soziales Problem darstellen können, ergibt sich auch aus der Verbreitung des Vermeideverhaltens, das mit der Kriminalitätsfurcht und dem Geschlecht stark, kaum jedoch mit der persönlichen Risikoeinschätzung korreliert. 1995 berichteten zwischen 30% und 56% der Ostdeutschen (ohne wesentliche Unterschiede zu 1993) und zwischen 22% und 44% der Westdeutschen (bei leichter Abnahme gegenüber 1993), daß sie im Dunkeln wegen der Kriminalität leere Straßen oder Plätze, öffentliche Verkehrsmittel oder Gruppen von Jugendlichen bzw. Ausländern häufig oder immer meiden würden; als aktive Schutzmaßnahme berichteten in beiden Landesteilen rund 10% der Befragten, eine "Waffe" mitzunehmen. 43% der Probanden in den neuen und 24% in den alten Ländern blieben abends zu Hause (Tabelle 24).

      Tabelle 24: Kriminalitätsrelevantes Schutz- und Vermeideverhalten.

      Um mich vor Kriminalität zu schützen...wenn ich alleine unterwegs bin

         

      nie

      manchmal

      häufig

      immer

       

      Jahr

      Ost

      West

      Ost

      West

      Ost

      West

      Ost

      West

      benutze ich ein Auto, Taxi...

      91

      93

      95

      37,4

      30,3

      27,0

      --

      31,5

      38,9

      35

      30,0

      29,3

      --

      28,6

      28,7

      17,2

      20,0

      22,3

      --

      19,5

      16,1

      10,4

      19,6

      21,5

      --

      20,4

      16,3

      meide ich öffentliche Verkehrsmittel

      91

      93

      95

      53,3

      40,0

      47,8

      --

      43,2

      57,0

      26,2

      26,5

      22,1

      --

      22,3

      20,6

      11,8

      16,4

      13,7

      --

      17,2

      10,2

      8,8

      17,1

      16,4

      --

      17,3

      12,2

      meide ich unbelebte Straßen, Parks und Plätze

      91

      93

      95

      22,5

      20,7

      17,3

      --

      21,3

      28,2

      31,7

      23,5

      26,3

      --

      24,6

      27,3

      20,1

      22,4

      23,7

      --

      21,3

      18,1

      25,7

      33,4

      32,7

      --

      32,8

      26,4

      weiche ich herumstehenden Jugendlichen aus

      91

      93

      95

      26,4

      22,5

      17,9

      --

      26,9

      31,4

      31,6

      29,5

      31,2

      --

      29,3

      32,5

      19,5

      23,3

      25,4

      --

      24,5

      17,7

      22,5

      24,7

      25,5

      --

      19,3

      18,5

      weiche ich herumstehenden Ausländern aus

      91

      93

      95

      28,5

      23,0

      19,8

      --

      25,4

      31,3

      28,3

      28,6

      29,0

      --

      29,6

      31,2

      17,4

      21,8

      21,8

      --

      23,0

      17,4

      25,8

      26,6

      29,6

      --

      21,9

      20,1

      nehme ich eine Waffe mit (Tränengas, Stock, Messer, Schußwaffe)

      91

      93

      95

      73,0

      69,9

      77,7

      --

      75,7

      80,4

      15,1

      13,8

      12,2

      --

      11,8

      11,3

      5,5

      7,5

      3,5

      --

      6,1

      4,1

      6,4

      8,8

      6,7

      --

      6,4

      4,1

      bleibe ich abends ganz zu Hause

      91

      93

      95

      --

      29,9

      33,1

      --

      50,3

      55,7

      --

      24,6

      23,8

      --

      23,6

      20,6

      --

      25,3

      24,9

      --

      18,2

      14,2

      --

      20,3

      18,2

      --

      7,9

      9,5

      Neue Bundesländer (n=2.011) Frühjahr 1991. Neue (n=2.212) und alte (n=2.034) Bundesländer Sommer 1993. Neue (n=1.095 ) und alte (n=2.114) Bundesländer Sommer 1995. Angaben in Prozent.

      Insbesondere die vermeidenden Verhaltensweisen werden von Frauen wiederum erheblich häufiger als von Männern angegeben (1995 in Ostdeutschland von etwa zwei Drittel der Frauen und rund einem Drittel der Männer; Westdeutschland: 40% bzw. 20%). Knapp die Hälfte der ostdeutschen Bevölkerung (doppelt soviel Frauen wie Männer) verzichtet also nach Einbruch der Dunkelheit de facto auf ihr Freizügigkeitsrecht. Damit werden öffentliche Kommunikationsräume und Möglichkeiten zu deren Gestaltung, auch im Sinne informeller sozialer Kontrolle, in nicht unerheblichem Maße aufgegeben.

      Bestehen mithin zwischen ost- und westdeutschen Befragten zum Teil noch erhebliche Divergenzen im Ausmaß der Kriminalitätsfurcht sowie ihrer Entwicklungsdynamik, so zeigen sich indessen weit weniger Unterschiede in den auf verschiedenen theoretischen Erklärungsperspektiven beruhenden empirischen Zusammenhangsbildern.

       

    7. Erklärungsansätze zu den Kriminalitätseinstellungen, insbesondere zur Kriminalitätsfurcht
    8.  

      Die zur Erklärung der Kriminalitätsfurcht in den neuen Bundesländern vorgebrachten Überlegungen bewegen sich im großen und ganzen im Rahmen von theoretischen Ansätzen, wie sie sich bereits seit längerem in der westlichen wissenschaftlichen und kriminalpolitischen Diskussion herausgebildet haben. Es handelt sich im wesentlichen um drei, die Ebenen sozialwissenschaftlichen Reflektierens widerspiegelnde Erklärungsperspektiven: auf der personalen Ebene die sogenannte Viktimisierungsperspektive, auf der gesellschaftlichen Makroebene die Soziale-Problem-Perspektive sowie auf der gesellschaftlichen Mesoebene (der Nachbarschaft) die Soziale-Kontroll-Perspektive (vgl. im einzelnen Boers 1991, S. 45 ff.). Auch in den nach der Wende durchgeführten Untersuchungen konnte, wie zuvor schon in den meisten der in westlichen Ländern durchgeführten Studien, keiner dieser drei Ansätze überzeugend bestätigt werden (eine gewisse Ausnahme bildet die Soziale-Kontroll-Perspektive). Gleichwohl spielen die darin enthaltenen Erklärungszusammenhänge vor allem - so darf man vermuten - wegen der jeweiligen kriminalpolitischen Implikationen eine erhebliche Rolle in der gegenwärtigen Umbruchsdiskussion.

      1. Kriminalitätsfurcht und Opferwerdung
      2. Folgt man der Viktimisierungsperspektive, dann beruht die Kriminalitätsfurcht vornehmlich auf gravierenden persönlichen, zumal gewaltsamen Opfererlebnissen. Neben Frauen als der furchtsamsten Bevölkerungsgruppe sind aber vor allem ältere Menschen und Befragte aus sozial destabilisierten Großstadtvierteln über die Kriminalität allgemein sowie über Gewaltdelikte beunruhigt. Es sind also eher sozial verletzbarere Bevölkerungsgruppen betroffen, für die aber nicht notwendigerweise das größte Viktimisierungsrisiko besteht.

        So wurde auf der Ebene aggregierter Datenvergleiche mit der allgemeinen Kriminalitätsfurcht ("Standardfrage") vor allem in (amerikanischen) Großstadtstudien häufiger beobachtet, daß Frauen und ältere Menschen die niedrigsten Viktimisierungsraten aufweisen, während die weniger Furchtsamen, vor allem jüngere Männer, am häufigsten Opfer werden. Dieses Phänomen wurde allerdings etwas vorschnell als "Kriminalitätsfurcht-Paradox" bezeichnet (zur vor allem amerikanischen Diskussion siehe Boers 1991, S. 57 ff.) und taucht in der kriminalpolitischen Diskussion gelegentlich auch als "Widerspruch zwischen objektiver Sicherheitslage und subjektivem Sicherheitsempfinden" auf. Differenziert man indessen unterschiedliche Furchtbereiche im Sinne einer spezifischen Kriminalitätsfurcht, dann zeigt sich nämlich, daß diese Diskrepanzen allenfalls für die Furcht vor gewaltsamen Straßendelikten festgestellt werden können, so 1991 und 1993 in den neuen und alten Bundesländern. Daß 1995 (jedoch nur) in Westdeutschland auch jüngere Frauen die höchsten Furchtraten bei Gewaltdelikten aufwiesen, deutet darauf hin, daß ein solches "Paradox" selbst bei diesen Delikten nicht durchgängig zu bestehen scheint (Schaubild 7).

        Schaubild 7: Kriminalitätsfurcht - Gewaltdelikte nach Geschlecht und Landesteilen. Angaben von ziemlich und sehr beunruhigt in %. FrO = Frauen NBL (n=529), FrW = Frauen ALB (n=1057), MänO = Männer NBL (n=471), MänW = Männer ABL (n-943)

         

        Im Hinblick auf Sexualdelikte konnte es in unseren Untersuchungen schließlich gar nicht nachgewiesen werden: Hier äußern jüngere Frauen, ihren häufigeren Viktimisierungserfahrungen mit Sexualdelikten entsprechend, die stärkste Furcht (vgl. für 1991 im einzelnen Boers 1994, S. 44, 52; im Ergebnis ebenso Wetzels et al. 1995, S. 261 ff. sowie Wetzels et al. 1995, Bilsky 1996, 1997).

        Die methodisch entscheidende Überprüfung für die Viktimisierungsperspektive stellt indessen der multivariat kontrollierte Zusammenhang zwischen Kriminalitätsfurcht und Opferwerdung auf der individuellen Vergleichsebene dar. Danach waren in den neuen und alten Bundesländern selbst Opfer von Gewalt- und Sexualdelikten - wenn überhaupt - nur wenig stärker beunruhigt als Nichtopfer. Allenfalls Frauen, die sexuell belästigt worden waren, reagierten diesbezüglich etwas furchtsamer. Dieser (schwach) korrelative Grundbefund ist schon aus verteilungstheoretischen Gründen nicht anders zu erwarten, weil der Anteil derjenigen, die intensivere Opfererfahrungen gemacht haben wesentlich geringer ist als der Anteil derjenigen, die sich vor der Kriminalität fürchten.

        Mit der persönlichen Risikoeinschätzung konnten allerdings moderate Zusammenhänge in der Weise beobachtet werden, daß Opfer eines bestimmten Deliktes vor allem über eine solche Opferwerdung beunruhigter sind als Nichtopfer (spezifische Risikoeinschätzung). Gefahren werden also in gewissem Umfange erfahrungsadäquat wahrgenommen (zu den Ergebnissen im einzelnen sowie zur internationalen Forschungslage, Boers 1995a). Ihre Verarbeitung kann aber, und zwar je nach Einschätzung der eigenen physischen oder kommunikativen Bewältigungsfähigkeiten, mit starker oder auch nur geringer Furcht einhergehen. Man könnte insofern von "differentiellen Viktimisierungseffekten" sprechen, was auch impliziert, daß es wenig Sinn macht, den Zusammenhang zwischen Opfererfahrungen und Kriminalitätseinstellungen in den Kategorien "rational" oder "irrational" zu interpretieren (Boers 1991, S. 109 ff.) .

        Schließlich unterscheiden sich Opfer auch in ihren Strafbedürfnissen kaum von Nichtopfern (weder in Ost- noch in Westdeutschland) und äußern sich selbst hinsichtlich der eigenen Viktimisierung als wiedergutmachungsfreundlich (vgl. Sessar 1992, S. 164 ff.; Kury et al. 1992, S. 311; Pfeiffer 1993, S. 74 ff.). Insgesamt ist "das Opfer" zur Begründung einer strafrechtsverschärfenden Politik also nicht geeignet. Law and Order-Paradigmen (nicht jedoch empirisch fundierte kriminalpräventive Überlegungen) scheinen demnach mit ihrer typischen Ausrichtung an älteren Menschen und am Opfer schwerer Gewalttaten an der falschen Zielgruppe orientiert zu sein.

         

      3. Geschlechtsrollenverständnis
      4. Des weiteren könnte man annehmen, daß die Furchtwahrnehmung von den Einstellungen gegenüber der Rollenzuweisung der Geschlechter, sozusagen im Sinne latenter Copingfähigkeiten, geprägt wird. Bei univariater Betrachtung der Variablen zum Geschlechtsrollenverhältnis fällt zunächst unmittelbar der beträchtliche Unterschied zwischen den ostdeutschen und westdeutschen Befragten auf. Auch eine nach Geschlechtern getrennte Auswertung hebt diese Differenz nicht auf, es scheint vielmehr so, daß der unterschiedliche Stellenwert der berufstätigen Frauen in der ehemaligen DDR im Vergleich mit Westdeutschland auch 1995 noch eine wichtige Rolle spielt. Allein schon diese Tatsache deutet darauf hin, daß ein Zusammenhang der Geschlechtsrollen mit der Kriminalitätsfurcht in erwarteter Richtung – emanzipiertere Frauen haben weniger Furcht – so nicht festgestellt werden konnte. Insgesamt kann gezeigt werden, daß sich in beiden Landesteilen geringfügig mehr Frauen, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau, für eine Berufstätigkeit der Frauen und gegen eine reine Hausfrauenrolle aussprachen als Männer (Tabelle 25).

        Tabelle 25: Geschlechtsrollenverständnis

        Geschlechtsrollenverständnis der Befragten 1995

         

        Geschl.

        stimme voll zu

        stimme eher zu

        stimme eher nicht zu

        stimme überh. n.z

           

        Ost

        West

        Ost

        West

        Ost

        West

        Ost

        West

        Das Familienleben leidet, wenn die Frau berufstätig ist

        Männer

        Frauen

        Gesamt

        10

        14

        12

        24

        27

        26

        29

        29

        29

        38

        38

        38

        41

        34

        38

        25

        24

        24

        20

        23

        21

        13

        11

        12

        Hausfrau zu sein, ist genau so erfüllend wie gegen Bez. zu arbeiten

        Männer

        Frauen

        Gesamt

        10

        10

        10

        24

        27

        26

        26

        18

        22

        35

        31

        33

        40

        37

        39

        30

        26

        28

        24

        35

        30

        11

        16

        13

        Mann und Frau sollen gemeinsam zum HHEK. beitragen

        Männer

        Frauen

        Gesamt

        41

        46

        44

        22

        20

        21

        50

        45

        47

        45

        45

        45

        9

        8

        8

        30

        32

        31

        0

        1

        1

        3

        3

        3

        Einen Beruf zu haben, ist das beste für die Unabhängigkeit der Frau

        Männer

        Frauen

        Gesamt

        43

        57

        50

        32

        42

        38

        49

        36

        42

        45

        40

        42

        9

        6

        7

        19

        15

        17

        0

        1

        1

        4

        3

        3

        Aufgabe d. Mannes ist, Geldverdienen, die der Frau HH und Familie

        Männer

        Frauen

        Gesamt

        5

        5

        5

        20

        18

        19

        23

        14

        18

        31

        28

        29

        37

        35

        36

        29

        30

        29

        35

        46

        41

        21

        24

        23

        Neue (n=1.095 ) und alte (n=2.114) Bundesländer Sommer 1995. Angaben in Prozent.

        Ein Zusammenhang mit dem Lebensalter der Befragten ergab sich allenfalls hinsichtlich der Aussage, "einen Beruf zu haben ist das beste für die Selbständigkeit der Frau", in Westdeutschland (Cramer’s V .19). Ein schwacher Zusammenhang (Cramer’s V .17) ließ sich in beiden Teilen Deutschlands ebenfalls mit der Größe des Wohnorts hinsichtlich vestärkter traditioneller Rollenverständnisse in kleineren Gemeinden feststellen. Lediglich im Westen konnten sich moderate Zusammenhänge zwischen der Wahlpräferenz der Befragten und dem Geschlechtsrollenverständnis beobachtet werden, wobei die traditionelleren Einstellungen mit einer CDU- und Republikaner- und die emanzipierteren mit einer Grünen- und der SPD-Orientierung korrelieren. Eine weitere positive Beziehung bestand zwischen der Religionszugehörigkeit zu katholischen oder zu orthodoxen Glaubensgemeinschaften. Zudem war in beiden Landesteilen eine deutliche Abhängigkeit vom Bildungsgrad der Befragten insofern zu beobachten, als ein höheres Bildungsniveau mit einem emanzipierten Geschlechtsrollenverständnis zusammenhing (Cramer’s V West .36/ Ost .41).

        Hinsichtlich der Kriminalitätseinstellungen können keine berichtenswerten Zusammenhänge aufgezeigt werden; die wenigen geringen Korrelationen (Taub > .17) verschwanden nach Kontrollen der Altersstruktur und der Religionszugehörigkeit vollständig. Für eine Erklärung von Kriminalitätseinstellungen ergeben sich mithin aus einer Analyse des Geschlechtsrollenverständnisses keine relevanten Anhaltspunkte.

         

      5. Sozial desorganisierte Nachbarschaften ("Broken Windows"?)
      6. In der Situation eines sozialen Umbruchs können Veränderungen in der sozialen Struktur einer Nachbarschaft von erheblicher Bedeutung für die verstärkte Wahrnehmung persönlicher Opferwerdungsrisiken und die Herausbildung persönlicher Verunsicherung sein. Solche Prozesse stehen im Mittelpunkt der Sozialen-Kontroll-Perspektive. In Anlehnung an die Studien von Shaw und McKay (1942), die bekanntlich in den 30er Jahren vor dem Hintergrund von rasch aufeinander folgenden Einwanderungsschüben den Zusammenbruch und die Reorganisation Chicagoer Nachbarschaften untersucht hatten, wird vermutet, daß die Ursachen der Kriminalitätsfurcht in Prozessen der sozialen Desorganisation von Gemeinden und Wohnvierteln sowie im damit einhergehenden Verlust der informellen sozialen Kontrolle liegen (vgl. Lewis und Salem 1986; Stangl 1996; Überblick bei Boers 1991, S. 113 ff.). Kriminalpolitisch werden zur Stärkung der informellen Kontrollstrukturen der näheren Wohnumgebung diverse, nach der Wende auch in Deutschland zunehmend populär gewordene Modelle der kommunalen Kriminalprävention vorgeschlagen, die von gemeindenaher Sozialarbeit bis hin zur "gemeindenahen Polizeiarbeit" reichen (Feltes und Gramckow 1994; vgl., auch zur Effizienz solcher Programme, Boers 1995b; Becker et al. 1996). Mit der Broken Windows-Hypothese von Wilson und Kelling (1982) und der darauf beruhenden Order Maintenance-Taktik der New Yorker Polizei hat diese Sichtweise aktuell eine repressiv-ordnungspolitische Variante erhalten.

        Multivariate Analysen mit den in Abschnitt 3.6 vorgestellten "Anzeichen sozialer Desorganisation" ergaben, daß die Kriminalitätsfurcht sowie vor allem die persönliche Risikoeinschätzung im Vergleich mit Opfererfahrungen und soziodemografischen Variablen am stärksten mit den "Zeichen sozialer Desorganisation" korreliert. Dies läßt darauf schließen, daß die Soziale-Problem-Perspektive im Unterschied zur Viktimisierungs- oder Soziale-Problem-Perspektive aussagekräftiger ist (vgl. auch Boers 1994, S. 57 ff.; Boers 1995a , S.27 ff.). Die nachfolgend dargestellten Analysen eines umfassenderen interaktiven Verständnismodells, das auch soziale Milieustrukturen berücksichtigt, zeigen jedoch, daß es sich hierbei nicht um einen linear-kausalen Zusammenhang handelt. Denn danach können auch weniger furchtsame Probanden ein hohes Maß an Nachbarschaftsproblemen wahrnehmen.

        Insgesamt kann mit diesen herkömmlichen Erklärungsansätzen ein komplexes Phänomen wie die subjektiven Bevölkerungsreaktionen auf Kriminalitätsereignisse also kaum analysiert werden. Der Hauptmangel dieser Ansätze liegt in der mono-kausalen Beschränkung auf nur jeweils einen Erklärungsbereich (entweder der personalen Ebene, oder der sozialen Makro- oder Mesoebene). Ein genaueres Verständnis dieses Phänomens ergibt sich indessen erst aus einer ganzheitlichen Sichtweise: Was als Viktimisierungsrisiko, Angst- oder Furchtemotion nur persönlich wahrgenommen beziehungsweise empfunden werden kann, entsteht aus Anlaß bedrohlicher Erlebnisse sowie der Kommunikation hierüber im Bereich der Nachbarschaft und wird geprägt vom politisch-publizistischen Kriminalitätsdiskurs auf der gesellschaftlichen Makroebene. Dabei sind die Zusammenhänge zwischen diesen und innerhalb dieser drei analytischen Ebenen nicht kausal zu verstehen. Denn Ursache-Wirkungsmodelle sind nur wenig geeignet, die komplexen, zumal interaktiven Beziehungen, deren struktureller und prozessualer Gesamtzusammenhang das Phänomen Kriminalitätsfurcht kennzeichnet, widerzuspiegeln (ähnlich auch Wetzels et al. 1995, S. 209; Bilsky 1996, S. 369; Schwarzenegger 1992, S. 23).

         

      7. Übertragung sozialer Ängste und der Einfluß der Massenmedien

      Angesichts solcher "Ungereimtheiten" wird die Kriminalitätsfurcht häufig damit zu erklären versucht, daß die insbesondere in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche und Krisen auftretenden existentiellen und politischen Verunsicherungen auf die Kriminalität als eine Art Metasymbol sozialer Probleme übertragen würden. Den Massenmedien wird hier mit ihrer hinsichtlich der Gewaltkriminalität notorisch verzerrten und sensationsorientierten Berichterstattung ein erheblicher Einfluß unterstellt. Von politischer Seite mögen solche Dramatisierungen als nützlich angesehen werden, um von ungelösten ökonomischen und sozialen Problemen ablenken zu können (Soziale-Problem-Perspektive).

      Schon theoretisch könnte man gegen solche Annahmen allerdings einwenden, daß die in ganz anderen kommunikativen, nämlich politischen und massenmedialen Zusammenhängen konstruierten und vor allem für deren Selbstreproduktion relevanten Kriminalitätsbilder keine unmittelbare Bedeutung für die nach anderen strukturellen Vorgaben erfolgende psychische oder personale Regulierung und Verarbeitung äußerer Gefahrwahrnehmungen hat. Dem entspricht ein Standardergebnis der Medienwirkungsforschung, daß Massenmedien nämlich bestenfalls eine Agenda-Setting- und Verstärker-, aber kaum eine Verursacherfunktion haben (Schenk 1987).

      Des weiteren weisen mit Blick auf die Kriminalitätsberichterstattung empirische Befunde seit längerem darauf hin, daß man allenfalls von einer differentiellen Medienwirkung (Tyler und Cook 1984) ausgehen kann. Danach ist ein positiver Zusammenhang zwischen Medienkonsum und Kriminalitätsfurcht weniger bei den zumeist sensationsorientiert aufgemachten Berichten über überregionale Ereignisse, sondern vielmehr dann zu erwarten, wenn die persönliche, soziale oder räumliche Situation der Leser tangiert wird (sogenannte "lokale Medien", Heath 1984; Forschungsüberblick bei Boers, 1991, S. 164 ff.; 1993, S. 73 f. und Walter 1995, S. 69). Solche Erkenntnisse wurden freilich vor dem Hintergrund "normaler" Alltagswelten in westlichen Gesellschaften mit an Form und Inhalt massenmedialer Berichterstattung gewöhnten Bevölkerungen gewonnen. Sie mögen in der Übergangszeit eines sozialen Umbruchs weniger Gültigkeit besitzen, weil die neuen, überwiegend von West-Verlagen herausgegebenen Medien, die bald nach der Wende im großen Stil Ereignisse zu vermarkten begannen, über die vorher kaum berichtet werden durfte, realitätsnäher als die alten Staats- und Parteimedien empfunden wurden. Man wird eine solche Umbruchswirkung der "neuen" Medien vor allem in den ersten ein bis zwei Jahren nach der Wende vermuten dürfen. Leider wurden in dieser Zeit keine Fragen zum Konsum von Kriminalitätsberichten gestellt. Und im Sommer 1993 war ein solcher Ostmedieneffekt empirisch kaum noch feststellbar. Insgesamt bestand damals zwischen verschiedenen Formen des Konsums von Kriminalitätsberichten und personalen Kriminalitätseinstellungen kaum ein signifikanter Zusammenhang. Lediglich im Osten äußerten diejenigen, die angaben, sehr häufig Kriminalitätsberichte in der Tagespresse zu lesen oder die Fernsehsendung "Aktenzeichen XY...ungelöst" zu sehen, etwas mehr Kriminalitätsfurcht als andere Befragte. Allerdings konnte zwischen lokalen und überregionalen Kriminalitätsberichten nicht unterschieden werden.

      Unabhängig davon, wie sich die Wirkung der Kriminalitätsberichterstattung auf persönliche Einstellungen im einzelnen gestaltet, spielen die Massenmedien jedoch eine bedeutende Rolle im politischen Kriminalitätsdiskurs. Was für die Medien vor allem marktwerte Information ist, wird von Politikern, Verwaltungen oder der Polizei als faktischer Anhaltspunkt für politischen und administrativen Handlungsbedarf und entsprechende Programme aufgefaßt. Solche Programme haben dann wiederum einen Medienwert in der nächsten Runde des Diskurses, der mit der Schlagzeile überschrieben ist: "Was tun unsere Politiker gegen die Kriminalitätswelle?" Scheerer (1978) hat derartiges einen "politisch-publizistischen Verstärkerkreislauf" genannt (siehe auch Müller-Dietz 1993, S. 60 f.).

      Hinsichtlich der vermuteten Projektion sozialer Ängste auf die Kriminalitätsfurcht ist zunächst auf univariater Ebene zu beobachten, daß die Beunruhigung über die Entwicklung im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereich sowohl 1991 als auch 1993 und 1995 weit stärker ausgeprägt war als die auf die eigene Person und das Wohnviertel bezogene Kriminalitätsfurcht (vgl. Abschnitt 3.5). Zu ersterem gehören auch Kriminalitätsphänomene, die in aller Regel keine persönliche Bedrohung, sondern vielmehr ein staatliches oder gesellschaftliches Problem signalisieren, wie zum Beispiel die organisierte Kriminalität, die Korruption oder - ganz allgemein - die "Kriminalitätsentwicklung", und deshalb als soziale und nicht als personale Kriminalitätseinstellungen anzusehen sind.

      Des weiteren ergibt sich aus unseren Erhebungen freilich auch, daß die Befragten in Ost- und Westdeutschland zwischen Kriminalitäts- und anderen sozialen Problemen überwiegend gut zu unterscheiden wußten. Nach dem Ergebnis von Faktorenanalysen, die sowohl die Items der Beunruhigung über die verschiedenen sozialen Probleme als auch diejenigen der spezifischen Kriminalitätsfurcht umfaßten, fürchteten sich Probanden, die beispielsweise über die Arbeitslosigkeit, Asylbewerber, den Verlust der Wohnung oder (im Osten) über Rückgabeansprüche von Westeigentümern beunruhigt waren, nicht notwendigerweise auch vor Gewalt- oder Sexualdelikten. Dies schließt nicht aus, daß im Einzelfall moderate bivariate Zusammenhänge zwischen der Beunruhigung über die verschiedenen sozialen Probleme und der Kriminalitätsfurcht bestehen. In multivariaten Logit-Analysen erweisen sich diese jedoch mit Blick auf die entsprechenden Haupteffekte als Scheinkorrelationen.

      Aufgrund dieser Analysen fürchten sich zum einen solche Bevölkerungsgruppen vor der Kriminalität, die physisch verletzbarer sind und für die schwere Opferwerdungen deshalb auch gravierendere physische, psychische oder finanzielle Folgen haben können, vor allem also Frauen und ältere Menschen. Zum anderen spielt der soziale Nahbereich, d. h. die Wahrnehmung von Anzeichen sozialer Desorganisation im Wohnviertel, eine maßgebliche Rolle für das Ausmaß der Kriminalitätsfurcht (insoweit könnte man von sozialer Verletzbarkeit sprechen). Insgesamt war in unseren Analysen der soziale Nahbereich sowohl unmittelbar wie auch als Vermittlungsebene für ein Verständnis personaler Kriminalitätseinstellungen von nicht unerheblicher Bedeutung.

       

    9. Ein interaktives Verständnismodell von Kriminalitätseinstellungen
    10. Die herkömmlichen Erklärungsansätze zur Kriminalitätsfurcht (Viktimisierungsperspektive, Soziale-Kontroll-Perspektive, Soziale-Problem-Perspektive) konnten sich somit empirisch allenfalls partiell bewähren. Der strukturelle Hauptmangel dieser Erklärungsansätze liegt vor allem darin, daß das Problem vornehmlich aus dem Blickwinkel der jeweils favorisierten Untersuchungsebene betrachtet wurde. Ein genaueres Verständnis dieses Phänomens ergibt sich indessen erst aus einer ganzheitlichen Sichtweise: Was als Viktimisierungsrisiko, Angst- oder Furchtemotion nur persönlich wahrgenommen bzw. empfunden werden kann, entsteht aus Anlaß bedrohlicher Erlebnisse sowie der Kommunikation hierüber im Bereich der Nachbarschaft und wird geprägt vom politisch-publizistischen Kriminalitätsdiskurs auf der gesellschaftlichen Makroebene. Dabei werden die Zusammenhänge zwischen diesen und innerhalb dieser drei analytischen Ebenen nicht kausal verstanden. Denn Ursache-Wirkungsmodelle sind nur wenig geeignet, die komplexen, zumal interaktiven Beziehungen, deren struktureller und prozessualer Gesamtzusammenhang das Phänomen Kriminalitätsfurcht kennzeichnet, widerzuspiegeln (ähnlich auch Wetzels et al. 1995, S. 209; Bilsky 1996, S. 369; Schwarzenegger 1992, S. 23).

      An anderer Stelle ist bereits ein Modell zum Verständnis von Kriminalitätseinstellungen entwickelt worden, das vor allem versuchte, den interaktionalen Prozessen zwischen den drei oben genannten Analyseebenen Rechnung zu tragen (Boers 1991, S. 207 ff.; 1993, S. 74 ff.). In einem weiteren Schritt wären allerdings auch die komplexen System-Umwelt-Beziehungen der beteiligten psychischen und sozialen Systeme (hier vor allem sozialer Nahbereich, Massenmedien, Kriminalpolitik) unter vornehmlich theoretischer Berücksichtigung ihres jeweils selbstreferentiellen Operierens zu betrachten. Und schließlich ist hinsichtlich der gesellschaftlichen Umwelt, deren fortgeschrittene, insbesondere horizontale Ausdifferenzierung in unterschiedliche, vor allem kulturell und normativ geprägte soziale Milieus und Lebensstile in die Modellbildung einzubeziehen. Das in Schaubild 8 wiedergegebene interaktive Verständnismodell ist gegenüber einer früheren Version (ebda.) um diese weiterführenden Überlegungen ergänzt worden (siehe Boers und Kurz 1997, S. 189ff.). Als mehr oder weniger kurze Erläuterung erscheinen die folgenden, in vier Punkten zusammengefaßten Überlegungen erwähnenswert.

      Schaubild 8: Interaktives Verständnismodell Kriminalitätseinstellungen

       

       

      1. Zunächst erscheint es - nicht nur bei Kriminalitätseinstellungen - bedeutsam, zwischen sozialen und personalen Einstellungsdimensionen zu unterscheiden. Es ist also zu fragen, ob jemand einen Problembereich lediglich als gesellschaftliches oder politisches Problem ansieht, oder ob er sich hiervon auch persönlich betroffen fühlt. Als soziale Kriminalitätseinstellung ist beispielsweise die Bewertung von "Kriminalität" oder "Verbrechensbekämpfung" als bedeutsames Problem "für Staat und Gesellschaft" im Rahmen eines sog. Soziale-Problem-Vergleichs zu verstehen. Auch die Einschätzung der Entwicklung nationaler Kriminalitätsraten oder Sanktionseinstellungen fallen hierunter. Zu den personalen Kriminalitätseinstellungen gehören insbesondere die persönliche Risikoeinschätzung, die Kriminalitätsfurcht sowie die kriminalitätsrelevanten Vermeide- und Schutzreaktionen (Louis-Guérin 1984). Soziale Kriminalitätseinstellungen korrelieren in der Regel nur schwach mit personalen Kriminalitätseinstellungen. Diese Unterscheidung hat sich insbesondere auch für die Untersuchung von Medienwirkungen als sinnvoll erwiesen. Denn während zwischen dem Konsum verzerrter überregionaler Kriminalitätsberichte und personalen Kriminalitätseinstellungen allenfalls schwache Beziehungen festgestellt werden konnten, scheint ein stärkerer Zusammenhang mit sozialen Kriminalitätseinstellungen zu bestehen (Boers 1991, S. 158 f.).

       

      2. Bei den personalen Kriminalitätseinstellungen, kann zunächst eine in der sozialpsychologischen Attitüdenforschung gängige formale Unterscheidung in kognitive, affektive und konative Einstellungskomponenten vorgenommen werden (vgl. Süllwold 1975, S. 474.). Demnach wäre die persönliche Risikoeinschätzung kognitiv, die Kriminalitätsfurcht affektiv (d. h. emotional) und das Vermeideverhalten konativ. Mit dieser Unterscheidung ist freilich nichts darüber ausgesagt, wie solche Einstellungen intern, also innerhalb psychischer Systeme entstehen, sich verändern usw.

      Man könnte deshalb in einem weiteren Schritt untersuchen, ob beispielsweise interaktionistische Angstkonzepte (Becker 1980) sowie die copingtheoretischen Überlegungen der Kognitionspsychologen Lazarus und Averill (1972) ein genaueres Verständnis über die Verarbeitungsprozesse in psychischen Systemen ermöglichen. Nach diesen Theorien stehen Angst oder Furcht im Zusammenhang mit zwei kognitiven Bewertungsprozessen: zum einen mit der Bewertung einer bestimmten Umweltsituation als gefahrvoll, zum anderen mit der Bewertung der persönlichen Fähigkeiten, eine solche Gefahrensituation bewältigen zu können (Bewertung persönlicher Copingfähigkeiten). Ergebnis dieser Bewertungsprozesse ist entweder das von Flucht- oder Vermeidereaktionen begleitete Furchtgefühl oder eine mit Angst einhergehende Hilflosigkeit oder schließlich eine mit aktiven Schutz- und Verteidigungsmaßnahmen korrespondierende Verärgerung oder Besorgnis (sog. Copingtechniken). Die häufig umstrittene Unterscheidung von Angst, Furcht oder Ärger erfolgt nach diesem Erklärungsansatz anhand der unterschiedlichen begleitenden Verhaltensreaktionen. Man kann diese Überlegungen also auch als ein Modell der internen Regulierung äußerer Gefahren durch psychische Systeme ansehen.

      Für den ersten auf äußere Gefahrsituationen gerichteten Bewertungsprozeß kann die in kriminologischen Forschungen häufig erhobene Einschätzung des Risikos, Opfer einer Straftat zu werden (persönliche Risikoeinschätzung), als angemessene Operationalisierung angesehen werden. Da insbesondere schwerwiegende Bedrohungen relativ seltene Ereignisse sind, verläuft die persönliche Risikoeinschätzung in der Regel antizipativ und nicht auf eine aktuelle Gefahr hin bezogen. Sie beruht ganz wesentlich auf früheren eigenen sowie vor allem auch auf vermittelten Umwelterfahrungen anderer. Es ist deshalb zu vermuten, daß diesbezügliche Kommunikationen und Interaktionen im sozialen Nahbereich, die sich in der Opferwerdung, indirekten Opfererfahrung, in der Wahrnehmung von sozialer Desorganisation der Nachbarschaft oder im Konsum lokaler Kriminalitätsberichte in den Massenmedien ausdrücken, in einem stärkeren Zusammenhang mit der persönlichen Risikoeinschätzung als mit der Kriminalitätsfurcht stehen. In Schaubild 8 weist der Begriff "Gefahr" darauf hin, daß dies die für ein Prozessieren von Kriminalitätseinstellungen entscheidende, dem sozialen Nahbereich zu entnehmende Information ist.

      Die Bewertung der persönlichen Copingfähigkeiten gehört natürlich nicht zu den personalen Kriminalitätseinstellungen. Sie wurde jedoch an dieser Stelle (und deshalb in einem Kasten mit gestrichelter Linie) in das Modell aufgenommen, um ihre Bedeutung für den internen Regulierungsprozeß hervorzuheben, der nach unseren Annahmen solchen Einstellungen zugrundeliegt. Die Bewertung der persönlichen Copingfähigkeiten wurde bislang nur unzulänglich erhoben und wird in der Regel indirekt als personale oder soziale Verletzbarkeit über die soziodemographischen Variablen Geschlecht, Alter, Bildung und soziale Schichtzugehörigkeit zu erschließen versucht (vgl. Skogan und Maxfield 1981, S. 69 ff.; Killias 1990). Unter "Verletzbarkeit" wurde freilich immer mehr verstanden, als die in den üblichen soziodemographischen Variablen repräsentierten sozialen Strukturen oder biologischen Merkmale. Man hoffte damit wohl auch einen Teil dessen zu erfassen, was als soziale Rolle bzw. auf Ebene der Sozialstruktur als "Lebensstil" bezeichnet wird. Freilich konnte auch dies bislang theoretisch nicht näher entwickelt oder gar empirisch operationalisiert werden. Die weiter unten vorzustellenden Analysen unternehmen nun den Versuch, zusätzlich die Bewertung der persönlichen Copingfähigkeiten zu untersuchen (Abschnitt 5.5.1.1).

      Anfang der achtziger Jahre begann eine soziologische Diskussion um grundlegende Veränderungen der Sozialstruktur in modernen Gesellschaften. Diese Diskussion war eng verknüpft mit dem Blick auf die Entstehung neuer sozialer Ungleichheiten (Kreckel 1983, Hradil 1983) sowie dem offensichtlich geringer werdenden Einfluß von ökonomischen Faktoren (Beck 1983, 1986) für die Lebensgestaltung. Ein weiterer Grund für diese Diskussion lag sicherlich in der Hinwendung des allgemeinen Interesses zum Bereich der Kultur, wie es sich in der Rezeption von Bourdieus Arbeiten (z. B. Bourdieu 1982) ausdrückt. Allgemein wurde die angenommene vertikale Strukturierung der Gesellschaft allein anhand sozio-ökonomischer Determinanten wie Einkommen, Bildung, Berufsstruktur usw. als nicht mehr ausreichend empfunden. Ein wichtiges Ziel der Sozialstrukturanalyse, die Erklärung vom Alltagshandeln, wurde aber nicht nur durch die abnehmende Erklärungskraft "klassischer" Faktoren wie Einkommen, Beruf oder Bildung vor Probleme gestellt. Es stellte sich auch die Frage, ob in Folge der Modernisierung zusätzlich zu den vertikalen Ungleichheiten horizontale Disparitäten, wie z. B. der Unterschied zwischen den Geschlechtern, Arbeits-, Freizeit- und Wohnbedingungen, Konsumstilen sowie der Stadt- und Landgegensatz, immer mehr an Bedeutung gewonnen haben.

      Milieu- oder Lebensstilkonzepte wurden mit der Absicht entwickelt, soziale Ungleichheit differenzierter, d. h. jenseits von Einkommen, Bildung und Berufsprestige zu erfassen, indem man "subjektive" Faktoren wie Werte, Orientierungen, Konsum- oder Freizeitstile und Alltagsästhetik als Basis für sozialstrukturelle Differenzierungen verwendet, da man diesen Faktoren einen entscheidenden Einfluß für das Alltagshandeln zumißt. Inzwischen liegen eine Vielzahl von Milieu- bzw. Lebensstilansätzen vor, die mit Hilfe sehr unterschiedlicher Ungleichheitsdimensionen, Milieus oder Lebensstile operationalisieren.

      Durch die starke Empirieorientierung, die Unterschiede in der Vorgehensweise und nicht zuletzt durch die unterschiedliche Betonung der sozio-ökonomischen Faktoren innerhalb der verschiedenen Ansätze ist es nicht verwunderlich, daß weder ein gemeinsamer Theoriekern noch gemeinsame Begrifflichkeiten existieren. Trotzdem lassen sich ein paar Grundannahmen dieser Sozialstrukturansätze herausarbeiten und damit zum Teil vergleichbar machen :

      Folgt man der handlungstheoretisch orientierten Differenzierung Hradils (1992, S. 31 ff.) wird die Struktur moderner Gesellschaften durch vier miteinander verbundene, gleichwohl für sich unabhängige, objektive und - das ist wohl die wesentliche Neuerung - subjektive Faktoren gebildet. Dies spiegelt sich in den folgenden Begriffen wider: die soziale Lage als "objektive" Voraussetzung mit instrumentell nutzbaren Ressourcen, vor allem Geld und Macht; das soziale Milieu, verstanden als Verschränkung "objektiver" und "subjektiver" Faktoren, da sich hierin durch die "Wahrnehmung, Interpretation, Nutzung und Gestaltung" der "objektiven" Ressourcen im Kontext von Gemeinden, beruflicher und familiärer Umwelt "bereitstehende Handlungsvoraussetzungen zu genutzten Handlungsmitteln" verdichten; mit Subkultur werden "latent-subjektive", durch Normen und Werte geprägte sozio-kulturelle Handlungsziele thematisiert; im Lebensstil gerinnen schließlich vor dem Hintergrund dieser Faktoren "Entscheidungs-, Wahl- und Routinisierungsprozesse" zu eigenständigen "manifest-subjektiven" Verhaltensregelmäßigkeiten. Erlauben diese Unterscheidungen mithin eine erste Beschreibung der horizontalen Strukturierungsprozesse in modernen Gesellschaften. Bei den Begriffsdifferenzierungen von Hradil fällt auf, daß die vier Faktoren soziale Lage, Milieu, Subkultur und Lebensstil theoretisch gleichbedeutend auf einer Ebene angesiedelt sind, und es wird ausdrücklich betont, daß sie, wiewohl analytisch voneinander zu unterscheiden, so doch alle miteinander zusammenhängen. Es stellt sich aber die Frage, worin, in welcher emergenten Einheit diese Faktoren zusammengehören. Man könnte freilich auf den insofern Einheit stiftenden Begriff der "Sozialstruktur" verweisen, hätte sich dann aber mit dem Problem auseinanderzusetzen, daß die soeben gewonnenen, erkenntnissteigernden Differenzierungen sich zumindest zu einem Teil in der notwendigen Unbestimmtheit des "Sozialstrukturellen" verlören (Was hängt nach modernem Verständnis in einer Gesellschaft denn nicht mit der Sozialstruktur zusammen?). Es erscheint daher sowohl theoretisch als auch mit Blick auf die empirische Analyse vielleicht angemessener, das "soziale Milieu" als (analytische) Metakategorie zu begreifen und hinsichtlich der sozialen Lage, kulturell-normativen Orientierung sowie des Lebensstils stärker deren theoretische und empirische Unterscheidbarkeit zu betonen. Die Unterscheidbarkeit dieser drei Faktoren hebt sich erst im Begriff des Milieus auf, mit wiederum neuen Konstellationen und Differenzierungen - in eben distinkte soziale Milieus, welche in dem aus den drei anderen Ungleichheitsdimensionen gebildeten sozio-kulturellen Raum entstehen. Genau diesen (Konstruktions-) Prozeß soll der Begriff Metakategorie bezeichnen. Er kann als solcher nur als analytischer Begriff verstanden werden, da soziale Milieus nach dem hier entwickelten Modell weder unmittelbar beobachtet werden können noch deren Bildung unmittelbar auf empirischen Beobachtungen beruht. Natürlich sind auch die "soziale Lage", die "kulturell-normative Orientierung" und der "Lebensstil" nicht unmittelbar beobachtbar und deshalb ebenfalls analytisch gebildet; sie beruhen nach unseren Vorstellungen aber unmittelbar auf empirisch beobachteten Phänomenen.

      Da somit jeweils verschiedene soziale Lagen, Lebensstile und normative Orientierungen unterschiedliche soziale Milieus ausdifferenzieren, werden die "Milieus" (sowie ihre jeweiligen Komponenten) in unterschiedlicher Weise mit den beiden Arten von Kriminalitätseinstellungen korrespondieren. So ist, um zwei besonders bedeutsame Relevanzbereiche herauszugreifen, zum einen davon auszugehen, daß in Milieus, die einen höheren Grad an sozialer, psychischer oder physischer Verletzbarkeit repräsentieren, die persönlichen Copingfähigkeiten geringer bewertet und eine stärkere Kriminalitätsfurcht geäußert sowie das persönliche Viktimisierungsrisiko (vor allem im Sinne eines Rückkopplungseffektes) als höher eingeschätzt wird (und umgekehrt).

      Dabei muß die "Bewertung persönlicher Copingfähigkeiten" nicht nur analytisch "mitgedacht" und entsprechend aus Verletzbarkeits- oder Milieu-/Lebensstilbeobachtungen erschlossen werden. Sie kann auch empirisch (bis zu einem gewissen Grade) operationalisiert werden. Dies wurde erstmals in unserer Befragung aus dem Jahre 1995 mit einigen Variablen versucht, die die Probandinnen und Probanden fragten, wie sie sich in einer geschilderten bedrohlichen Situation verhalten würden (die Itemalternativen reichten von aktiver Gegenwehr über verbale Lösungsversuche oder Hilfe bei anderen suchen bis hin zur Handlungsunfähigkeit, s. Abschnitt 5.5.1.1). Mit solchen Operationalisierungen sind Verletzbarkeits- und Milieuüberlegungen nicht überflüssig. Im Gegenteil: Sie würden auf der Grundlage einer solchen Operationalisierung eingehendere Aussagen darüber ermöglichen, unter welchen distinkten sozialen Bedingungen (im Sinne eines Milieukonzeptes) Gefahrbewältigungsfähigkeiten wie eingeschätzt und bestimmte Bewältigungsstile gewählt werden. Leider konnten im Jahre 1995 "soziale Mileus" aus Kostengründen nicht erhoben werden, und 1993 wurden keine Copingpräferenzen abgefragt, so daß der Zusammenhang zwischen diesen beiden Phänomenen mit den bestehenden Datensätzen nicht analysiert werden kann

      Von den verschiedenen Bewältigungstechniken ist einzig für das individuelle Vermeideverhalten ein starker Zusammenhang mit der Kriminalitätsfurcht zu erwarten. Zum anderen ist anzunehmen, daß insbesondere weltanschauliche (politische, religiöse, philosophische), in den kulturell-normativen Orientierungen repräsentierte Komponenten mit entsprechenden "restitutiven" oder "punitiven" sozialen Kriminalitätseinstellungen korrespondieren.

       

      3. Da es die Kriminalität in einem empirisch-phänomenologischen Sinne nicht geben kann, ist die Differenzierung nach Delikten und Deliktsgruppen (Wohnungseinbrüche, gewaltsame Straßendelikte, Gewaltdelikte, Eigentumsdelikte, Sexualdelikte) eine wichtige, wenngleich in empirischen Untersuchungen nur selten verwirklichte Voraussetzung für die Untersuchung von Kriminalitätseinstellungen (vgl. auch Bilsky 1996, S. 363).

       

      4. Schließlich sind situative Kontexte, was insbesondere in interaktionistischen Angsttheorien betont wird, von großer Bedeutung. Es führt zu ganz verschiedenen Ergebnissen, ob man allgemein fragt "Fühlen Sie sich wegen der Gewaltkriminalität unsicher?" oder ob man nach bestimmten Orten (z. B. Nachbarschaft, zu Hause oder Innenstadtbereich) oder Zeiten (z. B. abends im Dunkeln, am Tage) differenziert.

       

      1. Kriminalitätsfurcht und soziale Milieus im Rahmen eines interaktionalen Verständnismodells
      2.  

        In diese Analysen konnten neben den Kontrollvariablen Geschlecht und Alter, die Teilbereiche Vermeide- und Schutzverhalten, sozialer Nahbereich (Viktimisierungserfahrungen, soziale Desorganisation der Nachbarschaft), Häufigkeit von Kontakten in der Familie, zu Freunden und Bekannten sowie verschiedene soziale Milieus eingebracht werden. Im Rahmen der sozialen Milieus wurde die vertikale soziale Differenzierung anhand der sozialen Lage (Einkommen, Beruf, Bildung) sowie die horizontale soziale Differenzierung anhand kulturell-normativer Orientierungen berücksichtigt.

        Im Hinblick auf die Kriminalitätsfurcht sowie die persönliche Risikoeinschätzung vor Raub konnten die in Tabelle 26 wiedergegebenen Zusammenhänge beobachtet werden. Dabei ist für die Interpretation zu beachten, daß die mit Hilfe von multiplen Korrespondenzanalysen gewonnenen strukturellen Beziehungsbilder nicht wie in den herkömmlichen Erklärungsansätzen auf die "kausale Stärke" einzelner Faktoren hin (etwa Opferwerdung oder Zeichen sozialer Desorganisation), sondern immer nur im Hinblick auf ihren Gesamtzusammenhang vollständig erfaßt werden können:

        Tabelle 26: Konstellationen für Kriminalitätseinstellungen und soziale Milieus (Ost-West-Synopse 1993, Kriminalitätsfurcht Raub).

        "sehr beunruhigt"

        Ost

        WEST

        Kleinbürgerliches Milieu (KLBM)

        Indifferent angepaßtes Milieu (INAM)

        Desintegriertes Arbeitnehmermilieu (DEAM)

        Konventionelle Werte, politisch konservativ

        Aufgeschlossen anpassungsfähig, politisch konservativ

        Normativ desorientiert

         

        geringe Bildung

        geringes Einkommen

        arbeitslos

        Mittlere Bildung

        Mittleres Einkommen

        geringe Bildung

        geringes Einkommen

        finanzielle Probleme

        fam. + form. Soziale Kontakte

        Häufige soziale Kontakte

        wenig soziale Kontakte

        > 45 Jahre, eher Frauen

        Frauen > 60 Jahre

        30-45 Jahre, eher Frauen

        Überdurchschnittliche soziale Desorganisation + Viktimisierung (SNsh)

        Überdurchschnittliche soziale Desorganisation + Viktimisierung (SNsh)

         

         

        "ziemlich beunruhigt"

        Ost

        WEST

        Angepaßtes karriereorient. Milieu (AKOM)

        Traditionsloses resignatives Milieu (TREM)

        Traditionslos angepaßtes Milieu (TRAM)

        erfolgsorientiert, konventionelle Werte

        politisch/sozial interessiert

        Materialistische Werte

        Resigniert

         

        individualistisch Arbeiter

        hohe Bildung

        hohes Einkommen

        Geringe Bildung

        sehr geringes Einkommen

        arbeitslos

        geringe Bildung

        geringes Einkommen

        häufig arbeitslos

         

        wenig soziale Kontakte

        häufige familiäre Kontakte

        45-60 Jahre, Männer

        30-45 Jahre, eher Frauen

        30-45 Jahre, Frauen + Männer

        keine/geringe soziale Desorganisation, keine/geringe direkte oder indirekte Viktimisierung (SNss/ SNsn)

        keine soziale Desorg., keine direkte oder indirekte Viktimisierung (SNss)

         

         

         

         

         

         

         

         

         

         

        "wenig beunruhigt"

        Ost

        WEST

        Links-traditionelles Milieu (LITM)

        Kleinbürgerlich, aufstiegsorientiertes Milieu (KLAM)

        "realsozialistisch",

        "Sauberkeit und Ordnung"

        konventionell, materialistisch,

        "Sauberkeit und Ordnung"

        politisch konservativ

        hohe Bildung

        geringes Einkommen, arbeitslos

        mittlere Bildung

        mittleres Einkommen

        häufige soziale Kontakte

         

        35-49 Jahre, Männer und Frauen

        60 Jahre, Frauen + Männer

        geringe soziale Desorganisation, nur indirekte Viktimisierung (SNsi)

        geringe soziale Desorganisation, nur indirekte Viktimisierung (SNsi)

         

        "nicht beunruhigt"

        Ost

        WEST

        Junges erlebnisorientiertes Milieu (JEOM)

        Hedonistisches Milieu (HEDM)

        Gehobenes bürgerliches Milieu (GEBM)

        erlebnis-, konsum- und peergrouporientiert

        erlebnis- und konsumorientiert

        kultur. Interesse, individ. Verwirkl.; politisch konservativ oder liberal

        Schüler, Studenten, Azubis.

        zufriedenstellende Finanzen

        Schüler, Studenten, Azubis.

        mittlere Bildung

        mittleres Einkommen

        Schulden und finanzielle Probleme

        hohe Bildung

        hohes Einkommen

        häufige Peergroup-Kontakte

         

        häufige familiäre Kontakte

        16-30 Jahre, Frauen + Männer

        16-30 Jahre, Frauen + Männer

        30-59 Jahre, mehr Männer

        höchste soziale Desorganisation, keine Viktimisierung (Snse)

        höchste/geringe soziale Desorginsation, keine/ geringe Viktimisierung (SNse/SNsn)

         

        Während in den neuen Bundesländern ältere Frauen aus an konventionellen Werten orientierten sozialen Milieus mit unteren bis mittleren Bildungsabschlüssen und Einkommen und recht guten sozialen Kontakten (hinsichtlich eines Raubes) am stärksten beunruhigt waren, traf dies im Westen am ehesten für sozial und ökonomisch randständige, jüngere (tendenziell eher weibliche) Erwachsene zu, die kaum über soziale Kontakte verfügten und Schwierigkeiten hatten, sich normativ zu orientieren. Ähnliches zeigte sich auch in der Konstellation der ziemlich Beunruhigten, womit in Ostdeutschland ein ("neues") Erfolgs- und Karrieremilieu von Männern mittleren Alters, in Westdeutschland aber wiederum ein traditionsloses Arbeitermilieu von 30-45jährigen mit geringer Bildung und hoher Arbeitslosigkeit korrespondierte. Allerdings war auch in Ostdeutschland ein sozial instabiles, an konventionellen und "materialistischen" Werten orientiertes Unterschichtmilieu von meist jüngeren Frauen mit geringem Ausbildungs- und Einkommensniveau sowie hoher Arbeitslosigkeit und wenigen sozialen Kontakten ziemlich beunruhigt.

        Des weiteren zeigte sich in der Konstellation der wenig Beunruhigten allenfalls mit Blick auf die Orientierung an traditionellen Sekundärtugenden noch eine gewisse Ost-West-Ähnlichkeit (die von den Mitgliedern der beteiligten Milieus vermutlich nicht als solche empfunden wird, gleichwohl aber zumindest strukturell bemerkenswert ist). Ansonsten fühlten sich hier im Westen die "Kleinbürger" gehobenen Alters (wiederum anders als die vergleichbaren sehr beunruhigten Ostmilieus) von der Kriminalitätsfurcht kaum berührt, während dies in Ostdeutschland für das aus mittleren Altersgruppen bestehende Milieu der politischen, noch immer an (staats-) sozialistischen Idealen orientierten Umbruchsverlierer zutraf.

        Schließlich erwies sich in beiden Landesteilen ein "hedonistisches" Milieu junger Leute als nicht beunruhigt, wobei im Westen zusätzlich noch das (in Ostdeutschland so noch nicht existente) liberal-konservative Bildungsbürgermilieu aus Männern mittleren Alters zu den "Furchtlosen" gehörte. Daß diese beiden Westmilieus auch eine gewisse Nähe zur ziemlich beunruhigt-Konstellation aufweisen (und im übrigen - wie auch in Ostdeutschland - inhaltlich nicht so recht zusammenzugehören scheinen), wird auch darauf beruhen, daß die hinsichtlich der normativen Orientierungen und der Lebensstile verkürzten Erhebungsinstrumente eine nähere Differenzierung nicht ermöglichten.

        Hinsichtlich unserer Annahmen, daß mit Hilfe von Milieukonstellationen ein differenzierteres Bild über die für die Herausbildung der Kriminalitätsfurcht relevanten persönlichen Copingressourcen zu gewinnen ist, deutet sich mithin einstweilen soviel an, daß in Westdeutschland sozial, ökonomisch und normativ ressourcenschwache Milieus mit den sehr oder ziemlich beunruhigt-Konstellationen korrespondierten und in diesem analytischen Kontext die allein auf den demografischen Variablen Geschlecht und Alter beruhenden Verletzbarkeitsannahmen weniger bedeutsam waren. So zeigte sich beispielsweise, daß ältere Probanden (allerdings Frauen und Männer), die in ein normativ und sozial gefestigtes (hier: kleinbürgerliches oder bürgerliches) Milieu eingebunden waren, keine persönliche Verunsicherung äußerten. Auf der anderen Seite gehören (tendenziell eher weibliche) Probanden mittleren Alters, die in sozial und normativ instabilen Zusammenhängen lebten (desintegrierte beziehungsweise traditionslose Milieus), zu den Furchtsamsten. Annahmen über einen Zusammenhang zwischen persönlicher Unsicherheit und (in einem milieutheoretischen Sinne ausdifferenzierten) sozialstrukturellen Ressourcenmängeln scheinen sich also zumindest mit Blick auf die westdeutschen Befunde zu bewähren.

        Für die ostdeutschen Ergebnisse ist dies jedoch weniger eindeutig. Auf den ersten Blick scheinen (im Einklang mit herkömmlichen Befunden) vorwiegend das Alter und Geschlecht (ältere Frauen) bei ansonsten sozialstrukturell eher stabilen Verhältnissen furchtrelevante Ressourcenmängel zu indizieren. Denn drei der vier im Osten vorgefundenen sehr beziehungsweise ziemlich beunruhigt-Konstellationen können als sozial, ökonomisch sowie von ihren sozialen Netzen her als mehr oder weniger gefestigt angesehen werden (nur das ziemlich beunruhigte traditionslose Milieu entspricht insoweit den westdeutschen Ergebnissen). Nimmt man allerdings hinzu, daß in diesen Milieus - im Unterschied zu den westdeutschen Ergebnissen - konventionelle und politisch konservative Wertorientierungen überwiegen und die Furchtraten in den neuen Bundesländern erheblich höher als in den alten sind, so liegt es nahe, diese ostdeutschen Milieukonstellationen als umbruchsspezifische persönliche Bewältigungsmuster zu interpretieren. Die im Vergleich zu DDR-Zeiten offenbar als qualitativ neu und verschlechtert empfundene Kriminalitätssituation sowie der bereits 1993 (dem Erhebungszeitpunkt der Milieudaten) dramatisierend geführte öffentliche Kriminalitätsdiskurs scheinen insbesondere jene ostdeutschen Probanden verunsichert zu haben, die, so ist zu vermuten, an das vereinigte Deutschland einerseits stärkere Fortschritts- und Sicherheitserwartungen geknüpft haben, andererseits aber über nicht ausreichende normative Ressourcen verfügten, um die nicht erfüllten Erwartungen - in diesem interpretativen Kontext mag nun auch das höhere Alter eine Rolle spielen - in ihrem persönlichen Sicherheitsgefühl flexibel zu bewältigen. Man könnte von "enttäuschten Wiedervereinigungsoptimisten" sprechen. Daß "normative Ressourcen" im sozialen Umbruch offenbar eine größere Rolle bei der subjektiven Kriminalitätsbewältigung spielen, darauf mögen (in allerdings umgekehrter Richtung) die Beziehungen mit dem nur wenig beunruhigten links-traditionellen Milieu hinweisen: Denn obwohl bei diesen politischen (und in der Folge zumindest auch ökonomischen) Umbruchsverlierern eine größere Kriminalitätsfurcht nicht unerwartet gewesen wäre, wird vor dem Hintergrund distinkter (sozialistischer) Wertorientierungen, eines (vermutlich damit interagierenden) intakten sozialen Netzwerks sowie eines höheren Bildungsniveaus die Gewaltkriminalität nicht als persönliches Sicherheitsproblem bewertet (daß man die gestiegene Kriminalität gleichwohl als soziale und politische Konsequenz einer "Übernahme durch den Westen", also als gesellschaftliches Problem betrachtet, ist davon unberührt).

        Insofern hier angesichts der ostdeutschen sehr beunruhigt-Konstellationen normativ bedingte Anpassungsdefizite vermutet wurden, wird allerdings zu berücksichtigen sein, daß sich die ostdeutsche Bevölkerung in viel kürzerer Zeit an eine rasch gestiegene Kriminalität, nicht-deutsche Tätergruppen, kriminalpolitische Diskurse sowie massenmediale Kriminalsensationen, alles verbunden mit einem vorübergehenden Zusammenbruch des polizeilichen Kontrollsystems, zu gewöhnen hatte als die westdeutsche Bevölkerung, die sich auf das Modernisierungsrisiko "Kriminalität" über mehrere Jahrzehnte hinweg einstellen konnte. Das, wenn man so will, kulturell erlernte Verstehen der (verschiedenen) Kriminalitätsdiskurse, aufgrund dessen man mehr oder weniger weiß, daß, zumal im Alltagsleben, nicht alles so "heiß" ist, wie es kommuniziert wird, manches durchaus Unterhaltungswert hat und manches auch der Selbstreproduktion der beteiligten sozialen Systeme dient, benötigt offensichtlich etwas mehr Zeit, um sich als "kollektives Wissen" herausbilden zu können.

        Bereits oben war am Beispiel des über die Gemeindegrößen differenzierten Rückgangs der Furchtraten in den ostdeutschen Metropolen in den Jahren 1991 bis 1995 ("Verzögerungseffekt") ein (selbstregulativer) Adaptionsprozeß an die neuen Kriminalitätsverhältnisse vermutet worden. Möglicherweise wird sich dies zukünftig auch in einer Veränderung der milieudifferenzierten Furchtkonstellationen zeigen.

        Schließlich ergaben sich hinsichtlich der Zuordnung der fünf Kategorien des sozialen Nahbereichs zu den einzelnen Furchtkategorien zwar keine Ost-West-Unterschiede, aber es ist gleichwohl bemerkenswert, daß unter Berücksichtigung der sozialen Milieus (auch) der Zusammenhang zwischen der Kriminalitätsfurcht und der Stabilität des sozialen Nahbereichs offensichtlich nicht durch Linearität geprägt ist. Während in der Konstellation der sehr Beunruhigten noch überdurchschnittlich häufig Zeichen sozialer Desorganisation wahrgenommen sowie Viktimisierungserfahrungen berichtet wurden, beinhalten schon die ziemlich (aber auch die wenig) beunruhigt-Konstellationen einen weitgehend unproblematischen sozialen Nahbereich. Auf den ersten Blick unerwartet fand sich die häufigste Wahrnehmung von Zeichen sozialer Desorganisation in den furchtlosen Milieus der jungen Hedonisten und des westlichen Bürgertums (ohne daß dies im übrigen mit Opfererfahrungen einherging). Vor dem Hintergrund der, wenn auch völlig verschiedenen, Bewältigungsressourcen dieser Milieus wird dies gleichwohl nachvollziehbar: Mag die soziale Desorganisation der Nachbarschaft für die einen ein Teil des (Er-)Lebensstils, auch im Sinne von ("thrilliger") Einzigartigkeit und Authentizität, sein, so handelt es sich für die anderen um Zeichen von Auffälligkeit und Abweichung, die aufgrund bürgerlicher Distinktion zwar pointierter registriert, aber offensichtlich nicht als persönliche Bedrohung, sondern lediglich als Umweltärgernis empfunden werden.

         

        1. Kriminalitätseinstellungen und Copingfähigkeiten

    In einem weiteren Ansatz kann zudem - neben den indirekten Operationalisierungen über Alter und Geschlecht sowie mittels der sozialen Milieus - versucht werden, die Copingfähigkeiten der Probanden direkt zu operationalisieren, wie dies in der SUK ’95 Befragung mit den Variablen "zügig weglaufen", "mich körperlich zu wehren", "den Angreifer beiseite schieben und wegzugehen", "die Situation durch Reden mit dem Angreifer entspannen", "andere um Hilfe bitten" oder "hilflos sein" erfolgt ist. Freilich handelt es sich bei dieser Operationalisierung um eine zusätzliche Dimension, die sich von den sozialen Ressourcen der Milieus vorwiegend durch ihre physische Komponente unterscheidet.

    Auffällig ist zunächst die relativ hohe Zahl (>70%) von Probanden, die sich in der Lage sehen, Extremsituationen auf die eine oder andere Weise zu bewältigen (Tabelle 27). Im weiteren erwies sich die Struktur der Zusammenhänge in beiden Landesteilen als relativ einheitlich. Wie angenommen waren die Copingfähigkeiten der jüngeren Probanden ausgeprägter als die der älteren und die der Männer größer als die der Frauen. Hinsichtlich der Gemeindegrößen kann festgehalten werden, daß die Großstädter über ausgeprägtere Copingfähigkeiten verfügten als die Bewohner kleinerer Kommunen.

    Tabelle 27: Copingfähigkeiten.

    Einschätzung des persönlichen Copingverhaltens 1995

     

    Geschlecht

    trifft zu

    trifft nicht zu

    Ich wäre in der Lage...

     

    Ost

    West

    Ost

    West

    zügig wegzulaufen

    Männer

    Frauen

    Gesamt

    *72

    49

    60

    *74

    54

    64

    28

    *51

    40

    26

    *46

    36

    mich körperlich zu wehren

    Männer

    Frauen

    Gesamt

    *76

    39

    56

    *80

    40

    59

    24

    *61

    44

    20

    *60

    41

    den Angreifer beiseite zu schieben und wegzugehen

    Männer

    Frauen

    Gesamt

    *63

    25

    43

    *73

    30

    50

    37

    *75

    57

    27

    *70

    50

    die Situation durch Reden mit dem Angreifer entspannen

    Männer

    Frauen

    Gesamt

    63

    54

    58

    75

    55

    64

    37

    46

    42

    25

    *45

    36

    andere um Hilfe zu bitten

    Männer

    Frauen

    Gesamt

    81

    81

    81

    87

    82

    84

    19

    19

    19

    13

    18

    16

    hilflos

    Männer

    Frauen

    Gesamt

    14

    *35

    25

    10

    *40

    25

    *86

    65

    75

    *90

    60

    75

    Neue (n=1.095 ) und alte (n=2.114) Bundesländer Sommer 1995. Angaben in Prozent.

    Wer sich in der Lage sah, einen "Angreifer beiseite zu schieben, um wegzugehen" oder die "Situation durch Reden zu entspannen", was man als "gewaltfreie aktive" Copingfähigkeiten bezeichnen kann, neigte häufiger dazu, die Grünen zu wählen.

    Über alle Copingvariablen ergab sich ein durchgängiger Zusammenhang mit den Kriminalitätsfurchtvariablen in der vermuteten Richtung: je ausgeprägter die Copingfähigkeiten desto geringer die Furcht.

    Faktoren- und korrespondenzanalytisch konnten die sechs Copingvariablen zu einem Index zusammengefaßt werden. Dieser Index untergliedert die Copingfähigkeiten in aktive und passive sowie das Hilflossein. Unter "aktive Copingfähigkeiten" werden dabei "das Reden mit dem Angreifer", "das zur Seite schieben, um wegzulaufen" und "sich körperlich zur Wehr setzen" verstanden, das Weglaufen und "um Hilfe bitten" werden dementsprechend als "passive Copingfähigkeiten" betrachtet. Die dritte Komponente wird durch die Variable "Hilflossein" gebildet. Der danach gebildete Index wurde in den nachfolgenden multiplen Korrespondenzanalysen verwendet.

    Die Korrespondenzanalysen der Kriminalitätseinstellungskomponenten mit den Copingfähigkeiten und dem Index sozialer Nahbereich zeigten deutlich diejenigen Komponenten auf, die geeignet sind, ein genaueres Verständnis über den Zusammenhang der Kriminalitätsfurcht mit den soziodemographischen Variablen Alter und Geschlecht zu erhalten. Da sich die Zusammenhänge bei der Kriminalitätsfurcht und persönlichen Risikoeinschätzung vor einem Raub am typischsten herausbildeten, werden nur diese im folgenden vorgestellt. Anders als bei den mittels sozialer Milieus operationalisierten Copingressourcen, bestehen bei den Copingfähigkeiten deutliche Zusammenhänge mit den Variablen Alter und Geschlecht in der bekannten Richtung: junge Männer verfügen über ausgeprägtere Copingfähigkeiten als ältere Frauen. Allerdings heben die Zusammenhangskonstellationen auch den Einfluß des sozialen Nahbereichs hervor und liefern somit Anhaltspunkte für die differentielle Relevanz von informellen Sozialen-Kontroll-Strukturen sowie auch der Viktimisierungserfahrungen im Kontext einer gesamtheitlichen Betrachtung. In den beiden folgenden Schaubildern (9 und 10) werden jeweils vier Beziehungsmuster wiedergegeben, die in Anlehnung an die jeweilige Kategorie des Indexes mit "aktiven" und "passiven" Copingfähigkeiten, dem Hilflossein sowie "keine spezifische Copingstrategie" gebildet wurden.

     

     

     

    Schaubild 9: Beziehungsstruktur zwischen spezifischer Kriminalitätsfurcht und persönlicher Risikoeinschätzung vor Raub, sozialer Umwelt, Vermeideverhalten und Copingfähigkeiten. Homals Lösung: Neue Bundesländer 1995, n=1000

     

    Schaubild 10: Beziehungsstruktur zwischen spezifischer Kriminalitätsfurcht und persönlicher Risikoeinschätzung vor Raub, sozialer Umwelt, Vermeideverhalten und Copingfähigkeiten. Homals Lösung: Neue Bundesländer 1995, n=2000

     

     

     

    Die nachfolgende Tabelle 28 stellt die Ergebnisse der beiden HOMALS-Analysen für Ost- und Westdeutschland gegenüber, um die entsprechenden Unterschiede zu verdeutlichen.

     

    Tabelle 28: Konstellationen für Kriminalitätseinstellungen und Copingfähigkeiten (Ost-West-Synopse 1995, Kriminalitätsfurcht Raub).

    "keine spezifischen Copingfähigkeiten"

    Ost

    WEST

    Kein Schutz- und Vermeideverhalten

    Kein Schutz- und Vermeideverhalten

    Unterdurchschnittliche soziale Desorganisation +

    häufige direkte Viktimisierungserfahrungen

    Keine Anzeichen sozialer Desorganisation +

    keine direkte Viktimisierungserfahrungen

    Kriminalitätsfurcht: nicht beunruhigt

    Kriminalitätsfurcht: nicht beunruhigt

    Risikoeinschätzung: sehr unwahrscheinlich

    Risikoeinschätzung: sehr unwahrscheinlich

    Alter 30-45 Jahre

    Alter 30-59 Jahre

     

    "hilflos sein"

    Ost

    WEST

    Keine bestimmte Verhaltensdisposition

    Keine bestimmte Verhaltensdisposition

    Durchschnittliche soziale Desorganisation +

    keine direkte Viktimisierungserfahrungen

    Überdurchschnittliche soziale Desorganisation + häufige direkte Viktimisierungserfahrungen

    Kriminalitätsfurcht: ziemlich und sehr beunruhigt

    Kriminalitätsfurcht: ziemlich und sehr beunruhigt

    Risikoeinschätzung: ziemlich und sehr

    wahrscheinlich

    Risikoeinschätzung: ziemlich und sehr

    wahrscheinlich

    Alter über 45 Jahre

    Alter über 45 Jahre

     

    "passive Copingfähigkeiten"

    Ost

    WEST

    Zuhause bleiben

    Vermeiden bewußt gefahrvolle Situationen; oder bleiben zuhause

    Höchste bzw. niedrigste soziale Desorganisation +

    keine direkte Viktimisierungserfahrungen

    Geringe bis hohe soziale Desorganisation +

    keine direkte Viktimisierungserfahrungen

    Kriminalitätsfurcht: wenig beunruhigt

    Kriminalitätsfurcht: wenig beunruhigt

    Risikoeinschätzung: wenig wahrscheinlich

    Risikoeinschätzung: wenig wahrscheinlich

    Alter 30-59 Jahre

    Alter 30-45 Jahre

     

    "aktive Copingfähigkeiten"

    Ost

    WEST

    Vermeiden bewußt gefahrvolle Situationen und "bewaffnen sich"

    Vermeiden bewußt gefahrvolle Situationen; und "bewaffnen sich"

    Keine Zuordnung hinsichtlich sozialer Desorganisation + Viktimisierung

    Durchschnittliche soziale Desorganisation +

    häufige direkte Viktimisierungserfahrungen

    Kriminalitätsfurcht: keine Zuordnung

    Kriminalitätsfurcht: keine Zuordnung

    Risikoeinschätzung: keine Zuordnung

    Risikoeinschätzung: keine Zuordnung

    Alter 16-30 Jahre

    Alter 16-30 Jahre

     

    Die erste Konstellation "keine spezifischen Copingfähigkeiten" beinhaltete in beiden Landesteilen keine Verhaltensdispositionen. Die Anzeichen sozialer Desorganisation im Wohngebiet wurden als eher marginal eingestuft. Der bedeutsamste Unterschied dieses Beziehungsmusters lag in den unterschiedlichen Viktimisierungserfahrungen. Während im Osten häufige direkte Viktimisierungserfahrungen berichtet wurden, fehlten solche im Westen völlig. Einen weiteren Unterschied stellten die unterschiedlichen Altersgruppierungen dar, die im Osten lediglich die 30-45jährigen, im Westen hingegen auch ältere Probanden (30-59jährige) umfaßte. Bemerkenswert ist, daß dieses Zusammenhangsmuster mit der geringsten Kriminalitätsfurcht und der geringsten persönlichen Risikoeinschätzung hinsichtlich eines Raubes korrespondierte.

    Das zweite Beziehungsmuster "hilflos sein" zeichnet sich durch die Zugehörigkeit der beiden sehr und ziemlich beunruhigt/wahrscheinlich Kategorien der Kriminalitätsfurcht und der persönlichen Risikoeinschätzungsvariablen aus. Auffällig ist, daß auch hier, entgegen der theoretischen Vermutung, keine bestimmten Verhaltensdispositionen zugeordnet werden konnten, hätte man doch gerade bei diesen Probanden annehmen können, daß sie ein ausgeprägtes Vermeideverhalten zu Tage legen. Die Wahrnehmung der Anzeichen sozialer Desorganisation erwies sich im Osten als durchschnittlich, während sie im Westen etwas höher lag. Eine weitere Differenz der beiden Landesteile zeigte sich in dieser Konstellation bei den Viktimisierungserfahrungen; sie werden in Westdeutschland häufiger berichtet, fehlten hingegen im Osten. Erwartungsgemäß befanden sich in dieser Konstellation die ältesten Probanden (über 45 Jahre alt).

    Das Zusammenhangsmuster "passive Copingfähigkeiten" wurde durch die Verhaltensdisposition "zuhause bleiben" in beiden Landesteilen und zusätzlich im Westen durch das Vermeiden gefahrvoller Situationen gekennzeichnet. Berichtenswert ist die "Spannweite" der Zeichen sozialer Desorganisation. Sie reichte hier in beiden Teilen Deutschlands von sehr gering bis sehr hoch, was darauf hindeutet, daß sich in dieser Konstellation zwei verschiedene Probandencluster befinden, die mit den verfügbaren Informationen nicht zu differenzieren waren. Die geringe Beunruhigung und die geringe Risikoeinschätzung erscheinen auch mit Blick auf die Altersgruppen (Osten: 30-59 Jahre, Westen: 30-45 Jahre) dem Gesamtkontext dieser Konstellation angemessen.

    Das vierte und letzte Kategorienmuster "aktive Copingfähigkeiten" umfaßte - wie zu erwarten - die jüngste Altersgruppe der 16-30jährigen. Sie vermeiden zwar ebenfalls bewußt gefahrvolle Situationen, sind aber in überdurchschnittlicher Zahl bereit, zum eigenen Schutz auch Waffen mitzuführen. Anzeichen sozialer Desorganisation wurden im Westen in durchschnittlichem Maße wahrgenommen, im Osten konnte keine Zuordnung erfolgen. Ebenfalls nur im Westen ließ sich eine Aussage über die häufigeren Viktimisierungserfahrungen dieser Konstellation treffen. Verwunderlich ist zunächst, daß gerade bei dieser Gruppe keine eindeutigen Feststellungen hinsichtlich der Furcht und Risikoeinschätzung möglich waren. Auch dies deutet mithin auf eine Inhomogenität dieser Konstellation hin; sie konnte mit den in die Analyse eingebrachten Variablen nicht näher ausdifferenziert werden.

    Aus der Hinzunahme der dritten Dimension (durch unterschiedliche Schriftgrößen in den Schaubildern 9 und 10 dargestellt ist) ergibt sich indessen ein weiterer Hinweis dafür, daß die Befragten in ihrem psychologischen Wahrnehmungsraum tatsächlich eine Art Bewertung des Risikos und der Bewältigungsfähigkeiten vorzunehmen scheinen, die dann ein entsprechendes Verhalten und eine entsprechende Furchtkonstellation intendiert.

    In den Schaubildern liegt die Kriminalitätsfurcht ganz vorne im Raum (größte Schrift), etwas weiter hinten stehen die entsprechenden Copingfähigkeiten (etwas kleinere Schrift), nochmals eine Stufe dahinter die Verhaltensdispositionen und ganz hinten im Raum die Risikoeinschätzung sowie der soziale Nahbereich (kleinste Schrift). Für die Interpretation bedeutet dies, daß der soziale Nahbereich eine engere Beziehung zur Risikoeinschätzung aufweist als zu den anderen Konstrukten. Die zwischen diesem Beziehungspaar und der Kriminalitätsfurcht liegenden Verhaltensdispositionen und Copingfähigkeiten stellen in dieser Lesart eine Vermittlungsebene dar.

    Diese Dimension entspricht im weiteren Sinn den theoretischen Vorannahmen des vorgestellten "Interaktiven Verständnismodells von Kriminalitätsfurcht", nach dem die Risikoeinschätzung auf einer Bewertung des sozialen Nahbereichs basiert und vermittelt durch persönliche Copingfähigkeiten entweder in bestimmte Verhaltensdispositionen mündet oder aber durch das Fehlen solcher Strategien in Furcht kumuliert.

    Anzumerken ist freilich, daß sich diese Ergebnisse wegen des fehlenden Einflusses der über soziale Milieus operationalisierten sozialen Copingressourcen und der indirekten Viktimisierungserfahrungen im sozialen Nahbereich eher dem klassischen Erklärungsmuster der physischen Verletzbarkeit annähern.

    Am Beispiel der Copingfähigkeiten rundet sich ein Eindruck ab, der die (nicht immer einfachen) Interpretationen der korrespondenzanalytisch gewonnenen Ergebnisse insgesamt zu prägen scheint: Je mehr Informationen vor dem Hintergrund unseres symmetrischen Modells in die Analyse eingingen, das heißt: je mehr theoretisch denkbare Komplexität auch in der empirischen Analyse zugelassen werden kann, umso weniger erwiesen sich lineare Kausalitätsvorstellungen für ein Verständnis von Kriminalitätseinstellungen als adäquat.

    Um das oben vorgestellte interaktive Verständnismodell der Kriminalitätsfurcht einer abschließenden Evaluation unterziehen zu können, wäre es wünschenswert, die gesamte Bandbreite durch Hinzunahme der physischen als auch der mittels sozialer Milieus operationalisierten sozialen Copingressourcen analysieren zu können, was allerdings eine Erhebung von allen Variablen zum selben Untersuchungszeitpunkt bedingen würde.

     

  5. Sanktionseinstellungen (1993 bis 1995)

In unserem oben mit Blick auf die personalen Kriminalitätseinstellungen erörterten interaktiven Verständnismodell (vgl. oben Abschnitt 5.5, Schaubild 8) gehören Sanktionseinstellungen zu den sozialen Kriminalitätseinstellungen. In ihnen spiegeln sich allgemeine normative und politische Auffassungen zum rechtlichen und staatlichen Umgang mit Problemen sozialer Abweichung (das heißt: sozialer Exklusion wie auch Inklusion) wider. Demnach sind Sanktionseinstellungen einem Kontext weltanschaulicher und normativer Präferenzen und Orientierungen ("Belief Systems") zuzuordnen, die sich in längerfristigen Sozialisationsprozessen herausbilden und sind deshalb - so auch die neuere empirische Befundlage - von unmittelbaren Erfahrungen und Kommunikationserlebnissen in der näheren sozialen Umwelt weniger abhängig als personale Kriminalitätseinstellungen (Boers und Sessar 1991, S. 144; Boers und Kurz 1997, S. 188). Sessar hat Sanktionseinstellungen als "Teil der Stimmungslage der Nation" mit einem "hohen rechts- und kriminalpolitischen Stellenwert" bezeichnet, da sie in der Gesetzgebung als Legitimationsbasis für den Erlaß oder die Verschärfung von Strafnormen dienen können (1993, S. 376; vgl. auch 1992, insbes. S. 22 ff., 122 ff; 1997, S. 255 f. ). Abgesehen von der Annahme, daß solche Einstellungen vor allem im Rahmen politischer Diskurse auch erzeugt werden (ebda.), um eine Legitimation für den systemischen Strafanspruch zu schaffen, bieten sie eine Möglichkeit, unterschiedliche Wahrnehmungen zwischen Bürgern verschiedener lokaler, regionaler und nationaler Territorien zu beschreiben.

Im Hinblick auf die Ausdifferenzierung sozialer Milieus repräsentieren Sanktionseinstellungen mithin eine jener Dimensionen kulturell-normativer Orientierungen, die sich vornehmlich im makrosozialen Bereich weltanschaulicher und auch politischer Diskurse unter Mitwirkung der Massenmedien entwickeln und hierin vor allem aufrecht erhalten und verstärkt, aber auch geändert werden können.

Demnach sollten vor allem sogenannte autoritative beziehungsweise liberale Einstellungssyndrome (oder Wertorientierungen) in einem Zusammenhang mit Sanktionseinstellungen stehen. Man könnte auch strikter formulieren und sagen, daß rigide Strafbedürfnisse ein elementarer Bestandteil eines autoritativ geprägten Weltbildes sind und umgekehrt restitutive oder strafvermeidende Sanktionierungsvorstellungen zu einer "liberalen Welt" gehören.

Insoweit hier auch von "politischen" Einstellungen die Rede ist, wird es sich nur zu einem geringeren Teil um Parteipolitik handeln. Denn es ist zu vermuten, daß Strafrigidität beziehungsweise der Verzicht darauf mehr oder weniger in der einen oder anderen parteilich gebundenen Wählergruppierung zu finden sein werden. "Parteipolitische Unterschiede" beziehen sich demnach weniger auf das "Ob" von entweder Punitivität oder Restitutivität, sondern vor allem auf die eine jeweilige konkrete Zielgruppe: Je nachdem, welche Form von Delinquenz und sozialer Abweichung im Zentrum parteipolitischer Aufmerksamkeit steht, dürfte die Frage: "Wer verdient was?" also anders beantwortet werden.

Die Erhebungsdaten aus dem Jahre 1993 erlaubten, was in kriminologischen Untersuchungen ansonsten fast nie der Fall ist, kulturell normative Orientierungen sowie autoritative Einstellungssyndrome im Zusammenhang mit Sanktionseinstellungen zu analysieren. Diesbezügliche Auswertungen wurden von den dafür zuständigen Hamburger Kollegen jedoch bislang noch nicht veröffentlicht. Für die hier vorzustellende Befragung aus dem Jahre 1995 wurden diese Einstellungsbereiche nicht erneut erhoben.

Im Hinblick auf die oben formulierten forschungsleidenden Annahmen konnten angesichts der hier erhobenen Variablen also nur vermittelte Untersuchungen, sozusagen als "indirekter Zugang", durchgeführt werden:

 

 

    1. Erhebungsinstrumente
    2. Bei den Befragungen wurde den Probanden eine Reihe von fiktiven strafrechtlich relevanten Fällen geschildert, bei denen der Täter ein nicht vorbestrafter, lediger, dreißigjähriger Mann sein sollte. Die befragten Personen sollten sich für eine von sieben vorgegebenen Reaktionsmöglichkeiten entscheiden.

      Bei den Straftaten, die den Probanden geschildert wurden, handelte es sich um folgende sechs hypothetische Fallschilderungen:

       

      Hypothetische Fallschilderungen

      Taschenraub

      Der Täter entreißt auf einer Straße einem Passanten die Tasche, in der sich ein Portemonnaie mit 180 DM befindet.

      Diebstahl

      Der Täter greift sich auf einem Wochenmarkt im Vorübergehen zwei Ananas im Wert von zusammen 15 DM von einem Stand und läuft davon.

      Fabrikeinbruch

      Der Täter nimmt aus einer Fabrik, in die er durch Einschlagen einer Fensterscheibe gelangte, eine Bohrmaschine und andere Werkzeuge im Wert von insgesamt 400 DM mit.

      Wohnungseinbruch

      Während der Wohnungsinhaber zur Arbeit ist, will der Täter in dessen Wohnung eindringen, um dort etwas zu stehlen, die verschlossene Wohnungstür öffnet er mit ein paar geschickten Griffen, geht hinein und läßt Bargeld und andere Dinge im Wert von DM 1.200 mitgehen.

      Betrug

      Bei einem Kundenbesuch in einer Privatwohnung verkauft der Täter eine in Wahrheit billige Uhr (Wert: 20 DM) als angebliches Sonderangebot für 220 DM.

      Vergewaltigung

      Beim Verlassen eines Kinos trifft der Täter zufällig seine Freundin, mit der er sich vor kurzem zerstritten hat. Da sie beide in dieselbe Richtung müssen, entschließen sie sich, ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen. An einer gemeinsamen Stelle wird der Täter aufdringlich, die Frau weist ihn zurück, doch er kann sie in ein naheliegendes Gebüsch zerren, wo er sie vergewaltigt.

       

      Die Probanden sollten anhand der folgenden sieben Sanktionsvorschläge entscheiden, wie auf die hypothetischen Fallschilderungen reagiert werden sollte:

       

       

      Sanktionsvorschläge

      1

      gar nichts braucht zu geschehen

      2

      privat einigen

      3

      keine Bestrafung bei Wiedergutmachung

      4

      Strafe unter Anrechnung einer Wiedergutmachung

      5

      Geldstrafe

      6

      Freiheitsstrafe mit Bewährung

      7

      Freiheitsstrafe ohne Bewährung

       

      Für die folgenden Untersuchungen wurde die ursprünglich siebenstufige Sanktionsskala in eine vierstufige umgewandelt. Die ersten drei Stufen ("keine Reaktion", "private Einigung" und "keine Strafe bei Entschädigung") wurden zu der Gruppe "restitutive" Sanktionseinstellungen zusammengefaßt. Die vierte und die fünfte Stufe wurden in ihren ursprünglichen Versionen belassen ("Strafe unter Anrechnung einer Wiedergutmachung" bzw. "Geldstrafe") und die sechste und siebte Stufe ("Freiheitsstrafe mit bzw. ohne Bewährung") wurden zu der Gruppe der "Freiheitsstrafe" zusammengefaßt:

       

      Neu gruppierte Reaktionsmöglichkeiten

      1

      restitutiv (Original: 1 bis 3)

      2

      Strafe unter Anrechnung einer Wiedergutmachung

      3

      Geldstrafe

      4

      Freiheitsstrafe (Original: 6 und 7)

       

      Des weiteren wurden die Sanktionseinstellungen anhand einer Reihe weiterer hypothetischer Fälle zu umbruchstypischen, insbesondere auch politisch motivierten Fällen sozialer Abweichung und Delinquenz erhoben (sogenannte "umbruchstypische Sanktionseinstellungen"). Die diesbezüglichen Analysen der Befragungsdaten aus den Jahren 1991 und 1993 wurden bereits an anderer Stelle veröffentlicht (Sessar 1993; 1997). Die umbruchstypischen Sanktionseinstellungen aus dem Jahre 1995 werden derzeit (in Zusammenarbeit mit den Hamburger Kollegen) noch ausgewertet.

       

    3. Die Entwicklung der Sanktionseinstellungen seit der Wende
    4. Folgt man der Annahme, daß Sanktionseinstellungen vornehmlich weltanschaulich geprägt sind, dann lag die Vermutung nahe, daß in Ostdeutschland aufgrund der Sozialisation in einem totalitären und autoritären Staats- und Gesellschaftssystem deutlich stärkere Strafbedürfnisse artikuliert werden sollten als in Westdeutschland.

      Schon kurz nach der Wiedervereinigung konnten indessen zwischen Ost- und Westdeutschen diesbezügliche Unterschiede kaum festgestellt werden; in Ostdeutschland wurde im Falle eines Wohnungseinbruchs, begangen von einem einschlägig vorbestraften Täter, eine "Gefängnisstrafe" sogar (etwas) weniger häufig befürwortet (27%; West: 33%; Kury et al. 1992, S. 310). Zwar hat Pfeiffer (1993, S. 65 ff.) aufgrund einer zu Beginn des Jahres 1992 durchgeführten Erhebung in den Fällen eines Einbruchs, einer Körperverletzung oder eines Handtaschenraubs (zum Teil deutlich) punitivere Einstellungen in der ostdeutschen Bevölkerung beobachtet, aber bereits zwei Jahre später konnten wir aufgrund unserer eigenen Erhebungen wiederum gegenläufige Tendenzen feststellen.

      Im Sommer 1993 äußerten ostdeutsche Befragte anhand der sechs hypothetischen Fallschilderungen durchweg restitutivere Einstellungen als westdeutsche Probanden. Das Sanktionsbedürfnis der Ostdeutschen war vor allem hinsichtlich der Freiheitsstrafen deutlich niedriger als das der Westdeutschen. Ausnahmen von diesem Bild zeigten sich nur beim Wohnungseinbruch, bei dem sich in Ost und West eine ähnliche Verteilung der Sanktionspräferenzen ergab (74 % für eine Freiheitsstrafe). Beim Fabrikeinbruch blieben 62% der ostdeutschen Befragten - die Geldstrafe miteingerechnet - unterhalb der Freiheitsstrafe, verglichen mit 50% der westdeutschen Befragten, von denen mithin die Hälfte eine Freiheitsstrafe befürwortete (Tabelle 29).

       

      Tabelle 29: Sanktionseinstellungen in Ost- und Westdeutschland 1993 und 1995

         

      Sanktionen

       

      Delikt

       

      gar nicht

      privat einigen

      Keine Strafe b. WG

      milde Strafe b. WG

      Geld-strafe

      Freiheitsstrafe

      mit Bew.

      Freiheitsstrafe

      ohneBew.

      Taschenraub

      Ost ‘93

      0,7

      3,2

      8,9*

      18,2

      41,4*

      19,7*

      8,0*

       

      Ost ‘95

      0,1

      3,1

      6,9

      18,4

      40,7

      20,2*

      10,7

       

      West ‘93

      0,2

      2,4

      5,5

      18,7

      33,1

      27,8

      12,3

       

      West ‘95

      0,2

      2,7

      5,6

      17,3

      37,5

      26,8

      9,9

      Diebstahl

      Ost ‘93

      8,6

      26,1*

      23,2

      21,2

      18,1

      1,8*

      0,9*

       

      Ost ‘95

      7,8

      20,0

      23,3

      22,5

      22,1

      2,7*

      1,6

       

      West ‘93

      7,1

      17,8

      21,0

      24,3

      20,6

      5,7

      3,5

       

      West ‘95

      7,1

      20,4

      21,9

      23,4

      20,0

      5,5

      1,7

      Fabrikeinbruch

      Ost ‘93

      0,9*

      2,0*

      4,9

      12,2

      41,6*

      29,7*

      8,6*

       

      Ost ‘95

      0,0

      0,7

      4,1

      11,4

      39,7

      34,5

      9,7

       

      West ‘93

      0,1

      1,0

      3,8

      9,9

      33,6

      38,2

      13,5

       

      West ‘95

      0,3

      0,5

      3,6

      11,0

      39,2

      34,7

      10,8

      Wohnungseinbruch

      Ost ‘93

      0,0

      0,4

      1,5

      4,8

      19,4

      45,4

      28,5

       

      Ost ‘95

      0,3

      0,1

      1,3

      3,6

      18,8

      46,2

      29,6*

       

      West ‘93

      0,0

      0,5

      0,9

      5,0

      19,6

      46,6

      27,5

       

      West ‘95

      0,1

      0,3

      1,1

      5,9

      19,1

      49,6

      23,8

      Betrug

      Ost ‘93

      4,5

      9,8*

      12,5*

      11,4

      42,7

      13,9*

      5,2*

       

      Ost ‘95

      5,4*

      6,2

      8,1*

      10,4*

      49,9*

      13,9*

      6,2

       

      West ‘93

      3,6

      5,9

      9,0

      13,5

      37,8

      21,6

      8,6

       

      West ‘95

      2,9

      4,6

      12,0

      14,3

      42,5

      17,2

      6,5

      Vergewaltigung

      Ost ‘93

      8,1*

      6,4

      1,3

      2,9*

      4,2*

      15,7

      61,3

       

      Ost ‘95

      8,2*

      7,7*

      0,6

      3,3

      3,5*

      16,5

      60,1

       

      West ‘93

      2,9

      6,3

      1,2

      4,6

      6,3

      16,1

      62,6

       

      West ‘95

      2,7

      3,9

      1,2

      4,6

      7,6

      18,8

      61,1

      Angaben in Prozent. Neue Bundesländer Sommer 1993 n=2.212, Sommer 1995 n=1.095. Alte Bundesländer Sommer 1993 n n=2.034, Sommer 1995 n=2.114. Legende: = Signifikante Änderung von 1993 auf 1995 (jeweils nur für Ost bzw. West) * = Signifikanter Unterschied zwischen Ost und West (gleicher Zeitraum).

      Im Sommer 1995 zeigte sich eine allmähliche Angleichung bei den Strafbedürfnissen zwischen Ost- und Westdeutschland, wobei die Ostdeutschen weiterhin bei der Mehrzahl der Delikte weniger oft für Freiheitsstrafen plädierten als die Westdeutschen. So auch beim Handtaschenraub: Im Sommer 1993 hielten 28% der Ostdeutschen bei einem Handtaschenraub eine Freiheitsstrafe für angemessen. Zwei Jahre später sind es fast 31%. Im Vergleich dazu ist das Strafbedürfnis der Westdeutschen bei einem Handtaschenraub mit 40% im Sommer 1993 und 37% im Sommer 1995 deutlich höher. Der Angleichungsprozeß zwischen West- und Ostdeutschland im Hinblick auf Sanktionseinstellungen drückt sich vor allem in der größer werdenden Akzeptanz von Freiheitsstrafen als Sanktionsmittel in den neuen, bei einem tendenziellen Rückgang in den alten Bundesländern aus.

      Für den Umstand, daß in Ostdeutschland das Strafbedürfnis in einigen Befragungen bis etwa 1991 höher als im Westen lag, spätestens aber 1993 sogar unter das westdeutsche Niveau zurückgegangen war und sich zwischen 1993 und 1995 in Übereinstimmung mit dem westdeutschen Niveau insgesamt stabilisiert hat, mögen verschiedene Gründe eine Rolle spielen: Zum einen könnte angenommen werden, daß der politisch-publizistische Prozeß zur Legitimation schärferer Strafnormen, wie er in fast allen westlichen Gesellschaften zu beobachten ist, in den neuen Bundesländern noch nicht richtig zum Tragen gekommen ist. Es könnte aber auch sein, daß die ostdeutsche Bevölkerung sowohl aufgrund negativer Erfahrung mit der Strafpolitik in der ehemaligen DDR als auch angesichts der öffentlichen Verarbeitung dieser Problematik einer Konfliktlösung mit Hilfe des Strafrechts kritischer gegenübersteht und eine diesbezügliche Skepsis nur allmählich verliert. Hierfür könnte sprechen, daß sich in der Entwicklung der Sanktionseinstellungen zwischen 1993 und 1995 ein Wandel in der Bewertung von Freiheitsstrafen abzuzeichnen scheint: Während im Westen die Tendenz zu beobachten ist, weniger für Freiheitsstrafen zu votieren, wird sich dafür in Ostdeutschland inzwischen etwas häufiger ausgesprochen. Insgesamt ist allerdings, darauf weisen auch die wenigen signifikanten Unterschiede hin, die Entwicklung der Sanktionseinstellungen zwischen 1993 und 1995 in Ost- und Westdeutschland durch "Stabilisierung" geprägt.

       

    5. Sozialstrukturelle Zusammenhänge
    6. Für die Betrachtung der bivariaten Zusammenhänge zwischen Sanktionseinstellungen und strukturellen Variablen ist zu berücksichtigen, daß nur wenige der Korrelationen statistisch signifikant und diese wiederum nur schwach ausgeprägt waren (Taub < . 15). Insgesamt erwiesen sich mithin auch in unserer Untersuchung die Sanktionseinstellungen - wie schon in früheren (internationalen) Erhebungen - als von strukturellen Kontexten weitgehend unabhängige, eigenständige Attitüden (vgl. Boers und Sessar 1991; Sessar 1992 m.w.N.). Die folgenden Darstellungen können also im besten Falle "heuristisch" zu interpretierende Zusammenhangstendenzen wiedergeben.

       

      1. Geschlechts- und Altersstruktur
        1. Geschlechtsstruktur
        2. In den alten wie in den neuen Bundesländern ergaben sich bei keinem der vorgegebenen Fälle statistisch signifikante Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Befragten. Die Erwartung, daß Männer punitivere Sanktionseinstellungen äußern, konnte somit nicht bestätigt werden (graphisch nicht dargestellt).

        3. Altersstruktur

        Insgesamt konnten hinsichtlich der altersabhängigen Verteilungen keine einheitliche, schon gar nicht lineare Ergebnisstruktur ausgemacht werden, da in den verschiedenen Altersgruppen je nach Delikt und je nachdem, ob es sich um ost- oder westdeutsche Probanden handelte, mal eher punitiv und mal eher restitutiv reagiert wurde.

        Betrachtet man zunächst die Reaktionen gegenüber den schwere(re)n Delikten Taschenraub, Wohnungseinbruch und Vergewaltigung, so ergab sich bei den restitutiven Sanktionseinstellungen im Vergleich beider Landesteile ein recht uneinheitliches Bild. Während beispielsweise die jüngsten Befragten (16-24 Jahre) im Westen beim Taschenraub sowie im Osten beim Wohnungseinbruch und bei der Vergewaltigung die restitutivsten Einstellungen äußerten, zeigten sie umgekehrt im Osten beim Taschenraub sowie im Westen beim Wohnungseinbruch und bei der Vergewaltigung die geringste Bereitschaft, eine restitutive Sanktion zu befürworten.

        Mit zunehmendem Alter blieb die Wiedergutmachungsbereitschaft weitgehend unverändert, allerdings mit einer hervorstechenden Ausnahme: Sie nahm hinsichtlich der Vergewaltigung in Ostdeutschland mit dem Alter ab. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen ist, daß die Befürwortung restitutiver Sanktionen bei einer Vergewaltigung in den neuen Bundesländern insgesamt so viel größer war, daß selbst die ältesten ostdeutschen Probanden bei diesem Delikt noch immer deutlich restitutiver reagierten als beim Taschenraub und Wohnungseinbruch und als die westdeutschen Befragten hinsichtlich aller drei dieser (schweren) Delikte (Schaubild 11).

        Schaubild 11: Sanktionseinstellungen und Alter in Ost (O)- und Westdeutschland (W) 1995. Restitutive Einstellungen für Taschenraub (TR), Wohnungseinbruch (WE), Vergewaltigung (VG).

        Bei der Zustimmung zur Freiheitsstrafe stellte sich ein schon aus früheren Untersuchungen (z.B. Sessar 1992) bekannter Strafkonsens hinsichtlich der Vergewaltigung und des Wohnungseinbruchs ein: Unabhängig vom Alter oder der räumlichen Herkunft wurde hier nahezu ausschließlich eine Freiheitsstrafe befürwortet. Hingegen nahm das beim Taschenraub insgesamt weit geringer ausgeprägte Strafbedürfnis im Westen erst bei den über 65jährigen merklich zu, während sich im Osten die Älteren von den Jüngeren nicht unterschieden (Probanden mittleren Alters reagierten hier etwas punitiver, Schaubild 12).

        Schaubild 12: Sanktionseinstellungen und Alter in Ost (O)- und Westdeutschland (W) 1995. Zustimmung zur Freiheitsstrafe für Taschenraub (TR), Wohnungseinbruch (WE), Vergewaltigung (VG)

        Bei den leichteren Delikten Diebstahl, Betrug und Fabrikeinbruch konnten allein bei den Sanktionsvorschlägen der westdeutschen Befragten für den Diebstahl die gemeinhin erwarteten Tendenzen festgestellt werden: Mit zunehmendem Alter plädierten diese Probanden seltener für die Wiedergutmachung und analog dazu häufiger für die Freiheitsstrafe. Ansonsten zeigte sich hinsichtlich der restitutiven wie punitiven Sanktionsalternativen ein weitgehender Sanktionskonsens. Die Verteilungen der jeweiligen Sanktionsvorschläge wiesen also (sieht man einmal von dem kurvilinaren Alterszusammenhang der restitutiven Einstellungen ostdeutscher Befragter ab) sowohl hinsichtlich des Alters als auch hinsichtlich der Ost-West-Herkunft kaum Unterschiede auf (Schaubild 13 und Schaubild 14).

        Schaubild 13: Sanktionseinstellungen und Alter in Ost (O)- und Westdeutschland (W) 1995. Restitutive Einstellungen für Diebstahl (DI), Betrug (BE), Fabrikeinbruch (FA).

        Schaubild 14: Sanktionseinstellungen und Alter in Ost (O)- und Westdeutschland (W) 1995. Zustimmung zur Freiheitsstrafe für Diebstahl (DI), Betrug (BE), Fabrikeinbruch (FA)

        Somit konnte in Westdeutschland bezogen auf die Delikte Diebstahl, Betrug und Fabrikeinbruch die erwartete steigende Punitivität mit höherem Alter, allerdings nur der Tendenz nach beobachtet werden, während dies in den neuen Bundesländern nicht der Fall war; vielmehr äußerten dort die 16-24jährigen ein tendenziell punitiveres Sanktionsbedürfnis.

      2. Gemeindeklassen
      3. Im allgemeinen waren die Befunde in Ost- und Westdeutschland dadurch geprägt, daß die Bevölkerung der Metropolen (>500.000) und der Großstädte (100.000-500.000) restitutiver als die Bewohner von Gemeinden (<20.000) und kleineren Städten (20.000-100.000) eingestellt war. Hinsichtlich der punitiven Sanktionseinstellungen war diese Tendenz allerdings schon weniger deutlich zu beobachten und bezüglich der Zustimmung zur Geldstrafe und der Strafe unter Anrechnung einer Wiedergutmachung konnten in den alten und neuen Bundesländern keine signifikanten Gemeindegrößenunterschiede festgestellt werden.

        Die häufiger restitutiven und umgekehrt in der Regel häufiger punitiven Einstellungen in den Großstädten und Metropolen bezogen sich auf die Delikte Fabrikeinbruch, Wohnungseinbruch, Diebstahl (West), Betrug (West) sowie (vor allem hinsichtlich der Restitutivität) auf den Taschenraub. Dieses Bild wies nur bei den Delikten Diebstahl (Ost) und Betrug (Ost) geringfügige Abweichungen dahingehend auf, daß Befragte aus Gemeinden oder kleineren Städten gleichwohl restitutive Einstellungen äußerten (siehe Tabelle 30 am Beispiel des Fabrikeinbruchs).

        Tabelle 30: Sanktionseinstellungen für Fabrikeinbruch und Gemeindeklassen in Ost- und Westdeutschland 1995. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 1.095) und alte Bundesländer (n = 2.114).

         

        Sanktionen

        Gemeindeklasse

         

        < 20.000

        20.000 - 100.000

        100.000 - 500.000

        > 500.000

        restitutiv

        Ost

        2,5*

        2,3

        10,5*

        8,8*

         

        West

        3,1

        4,2

        5,1

        6,5*

        Str. u. Anr. e. WG

        Ost

        9,9

        11,4

        18,0

        11,1

         

        West

        8,7

        9,9

        13,8

        15,1*

        Geldstrafe

        Ost

        39,5

        40,7

        34,7

        41,3

         

        West

        40,6

        36,7

        44,6

        35,3

        Freiheitsstrafe

        Ost

        48,1

        45,6

        36,8

        38,7

         

        West

        47,7

        49,2

        36,5*

        43,1

         

        In Ost- und Westdeutschland über die Gemeindegrößen unterschiedlich und zum Teil auch erwartungswidrig verteilte Sanktionsvorschläge zeigten sich vor allem im Hinblick auf die Vergewaltigung. In ostdeutschen Großstädten (100.000 - 500.000 Einwohner) wurden auch hier häufiger restitutive Vorschläge (35%) und entsprechend seltener punitive Vorschläge (59%) als in Gemeinden und kleineren Städten (15% bzw. 79%) präferiert. Allerdings waren die Bewohner ostdeutscher Metropolen (mit nur 13% Restitution und 79% für Freiheitsstrafe) wesentlich stärker punitiv orientiert.

        In Westdeutschland war hingegen die im Vergleich mit den Sanktionsvorschlägen für die anderen Delikten erwartungswidrige Tendenz, daß Großstädter punitiver reagieren als Bewohner kleinerer Städte und Gemeinden, bei der Vergewaltigung insgesamt konsistent ausgeprägt. Hier wurden auch in den kleineren Großstädten restitutive Sanktionen (mit lediglich 8%) kaum berücksichtigt (tabellarisch nicht dargestellt).

         

      4. Bildung und soziale Schicht
      5. Insgesamt wurde in den bivariaten Analysen zwar sichtbar, daß ein höherer Bildungsstatus mit geringeren Strafbedürfnissen - und umgekehrt - zusammenhängt. Man kann insofern aber wiederum nur von einer diesbezüglichen Tendenz sprechen, da die betreffenden signifikanten Korrelationen allenfalls schwach ausgeprägt waren (Taub<.15). Und auch dies traf nur für die westdeutsche Stichprobe zu. Hier ergab sich für die Vergewaltigung wieder eine "erwartungswidrige" Besonderheit, daß nämlich Probanden mit einer höheren (Aus-)Bildung punitiver als solche mit einem niedrigeren Bildungsstatus eingestellt waren.

        Tabelle 31: Sanktionseinstellungen für Betrug und Bildung in Ost- und Westdeutschland 1995. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 1.095) und alte Bundesländer (n = 2.114).

        Sanktionen

        Bildung

         

        kaum

        Ausbildung

        mindestens

        Lehre

        Abi/

        mittlere Reife

        Fachausbildung/

        Universität

        restitutiv

        Ost

        15,1

        19,2

        22,5

        16,3

         

        West

        18,6

        17,3

        16,7

        30,5*

        Str. u. Anr. e. WG

        Ost

        8,7

        10,2

        9,7

        13,3

         

        West

        15,3

        14,9

        14,9

        12,1

        Geldstrafe

        Ost

        51,8

        50,0

        47,1

        54,3

         

        West

        41,4

        41,3

        49,1

        37,2

        Freiheitsstrafe

        Ost

        24,4

        20,5

        20,7

        16,1

         

        West

        24,7

        26,4

        19,4

        20,2

         

        In Ostdeutschland waren die - immerhin der Richtung nach erwartungsgemäßen - Beziehungen (mit der einen Ausnahme einer häufigeren Befürwortung der Freiheitsstrafe beim Diebstahl) statistisch nicht signifikant (Tabelle 31 am Beispiel des Betrugs und Tabelle 32 am Beispiel des Diebstahls).

        Tabelle 32: Sanktionseinstellungen für Diebstahl und Bildung in Ost- und Westdeutschland 1995. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n= 1.095) und alte Bundesländer (n= 2.114).

        Sanktionen

        Bildung

         

        kaum

        Ausbildung

        mindestens

        Lehre

        Abi/

        mittlere Reife

        Fachausbildung/

        Universität

        restitutiv

        Ost

        42,4

        49,8

        51,0

        55,7

         

        West

        42,3

        49,6

        51,8

        53,3

        Str. u. Anr. e. WG

        Ost

        25,7

        26,8

        21,7

        18,2

         

        West

        26,4

        20,5

        24,2

        24,5

        Geldstrafe

        Ost

        23,0

        20,1

        22,0

        24,4

         

        West

        21,4

        22,1

        18,6

        16,4

        Freiheitsstrafe

        Ost

        8,9*

        3,3

        5,1

        1,7

         

        West

        10,0*

        7,8

        5,4

        5,8

         

        Hinsichtlich der sozialen Schicht konnten selbst diese Zusammenhangstendenzen kaum noch festgestellt werden - weder in West- noch in Ostdeutschland. Alle diesbezüglichen Korrelationen waren statistisch nicht signifikant (tabellarisch nicht dargestellt).

        Mit Blick auf die neuen Bundesländer mögen die mangelnden Bildungs- und Schichtbeziehungen damit zusammenhängen, daß die ostdeutsche Gesellschaft aufgrund der "realsozialistischen" Bildungs- und Sozial- und Wirtschaftspolitik (noch) eine homogenere Sozial- und Bildungsstruktur aufweist als die westdeutsche und deshalb diesbezügliche Faktoren die Sanktionseinstellungen noch weniger als in Westdeutschland ausdifferenzieren.

      6. Wahlpräferenzen
      7. Auch beim Wahlverhalten zeigten sich insgesamt wiederum keine statistisch eindeutigen Zusammenhänge mit den Sanktionseinstellungen. Der Tendenz nach konnte bei den westdeutschen Befragten eine stärkere parteipolitische Differenzierung beobachtet werden; in Ostdeutschland stellten sich die Wahlpräferenzen hingegen als sehr indifferent dar (tabellarisch nicht dargestellt). Zudem ist darauf hinzuweisen, daß es sich bei Zusammenhängen zwischen dem Wahlverhalten und den Sanktionseinstellungen um Scheinkorrelationen handeln kann, da die bivariaten Beziehungen in Wirklichkeit nicht Beziehungen hinsichtlich der Wahlpräferenzen, sondern zum Beispiel bezüglich der Alters- und Geschlechtsstruktur wiedergeben könnten.

        In den alten Bundesländern äußerten die Wähler der Grünen, außer bei der Vergewaltigung, die restitutivsten Sanktionseinstellungen. Auf der anderen Seite votierten die Wähler der CDU am seltensten für restitutive Sanktionen. Die Wähler der SPD lagen regelmäßig mit ihren Angaben "dazwischen". Bei den FDP-Wählern konnte keine eindeutige Antworttendenz festgestellt werden. Während letztere, mit Ausnahme des Taschenraubs und der Vergewaltigung, bei allen Delikten am punitivsten orientiert waren, gefolgt von CDU-, SPD- und Grünen-Wählern, waren beim Taschenraub die CDU-Wähler und bei der Vergewaltigung die Grünen-Wähler relativ am punitivsten eingestellt. In den allein den allgemeinen Erwartungen zuwiderlaufenden punitiven Reaktionen der Grünen-Wähler hinsichtlich der Vergewaltigung mag die unter West-Grünen intensiver (und seit langem) geführte Diskussion über die Gewalt gegen Frauen einen (gewissen) Niederschlag gefunden haben.

        In den neuen Bundesländern waren vor allem die Sanktionseinstellungen von PDS-Wählern bemerkenswert. Während diese die Freiheitsstrafe, außer bei der Vergewaltigung und beim Wohnungseinbruch, am häufigsten vorschlugen, bildeten PDS-Wähler insgesamt betrachtet aber auch die zweitgrößte Gruppe unter den Wiedergutmachungsbefürwortern. Hieran mag eine gewisse "weltanschauliche Polarisierung" zum Ausdruck kommen, die aus der Strafkonzeption des DDR-Strafrechts herrührend, (autoritative) Punitivität auf der einen Seite mit wiedergutmachenden Sanktionen auf der anderen Seite (gesellschaftliche Gerichte!) in Einklang zu bringen versucht. Die Wähler der anderen Parteien stimmten je nach Delikt mal mehr und mal weniger einer Freiheitsstrafe bzw. einer restitutiven Sanktion zu.

      8. Wahrnehmung sozialer Probleme
      9. Der vielfältig geäußerte Zusammenhang, daß sich soziale Beunruhigungen (ohne soziale Kriminalitätseinstellungen, siehe "Interaktives Verständnismodell", oben Abschnitt 5.5) in punitiven Sanktionseinstellungen niederschlagen oder (in Anlehnung an die "Soziale-Problem-Perspektive", siehe oben Abschnitt 5.4) hierauf übertragen werden, konnte in Ost- und Westdeutschland insgesamt nicht bestätigt werden. Vielmehr neigten Befragte, die über soziale Probleme nicht beunruhigt waren, tendenziell sogar eher zur Befürwortung der Freiheitsstrafe.

        Dabei waren bei den allgemeinen sozialen Problemen (zur Indexbildung, vgl. oben Abschnitt 3.5) die Korrelationen in den alten Bundesländern etwas stärker als in den neuen Bundesländern ausgeprägt (Tabelle 33 am Beispiel des Fabrikeinbruchs). Eine Ausnahme von diesem negativen Trend ergab sich nur bei den ostdeutschen Befragten bezogen auf den Betrug. Hier votierten die weniger beunruhigten Probanden etwas seltener für die Freiheitsstrafe und etwas häufiger für die Wiedergutmachung (allein für die Freiheitsstrafe zeigte sich dies auch beim Wohnungseinbruch).

        Tabelle 33: Sanktionseinstellungen für Fabrikeinbruch und Beunruhigung über soziale Probleme (allgemeine Perspektive) in Ost- und Westdeutschland 1995. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 1.095) und alte Bundesländer (n = 2.114).

        Sanktionen

        soziale Probleme (allgemein)

         

        nicht
        beunruhigt

        weniger
        beunruhigt

        ziemlich beunruhigt

        sehr
        beunruhigt

        restitutiv

        Ost

        7,5

        3,1

        4,2

        6,0

         

        West

        3,7

        4,2

        4,7

        5,4

        Str. u. Anr. e. WG

        Ost

        11,7

        13,8

        11,8

        9,2

         

        West

        9,5

        10,7

        12,0

        13,0

        Geldstrafe

        Ost

        32,5

        39,9

        38,3

        42,7

         

        West

        34,2

        40,1

        41,6

        42,9

        Freiheitsstrafe

        Ost

        48,3

        43,2

        45,7

        42,1

         

        West

        52,6*

        45,0

        41,8

        38,7

         

        Während sich bei den politischen Problemen keine berichtenswerten Unterschiede ergaben, wurde wiederum bei den familiären Problemen der (ausnahmslos) negative Zusammenhangstrend insbesondere beim Fabrikeinbruch bestätigt. Nicht beunruhigte Probanden hielten in Ost- und vor allem in Westdeutschland die Freiheitsstrafe für angemessener (Tabelle 34).

        Tabelle 34: Sanktionseinstellungen für Fabrikeinbruch und Beunruhigung über soziale Probleme (familiäre Perspektive) in Ost- und Westdeutschland 1995. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 1.095) und alte Bundesländer (n = 2.114).

        Sanktionen

        soziale Probleme (familiär)

         

        nicht
        beunruhigt

        weniger

        beunruhigt

        ziemlich
        beunruhigt

        sehr

        beunruhigt

        restitutiv

        Ost

        3,7

        7,8*

        4,5

        3,7

         

        West

        4,9

        2,6

        6,8*

        3,7

        Str. u. Anr. e. WG

        Ost

        10,0

        9,4

        9,9

        14,4

         

        West

        10,5

        9,6

        13,4

        11,1

        Geldstrafe

        Ost

        38,2

        41,2

        37,8

        40,0

         

        West

        32,2

        40,2

        41,0

        44,9*

        Freiheitsstrafe

        Ost

        48,0

        41,6

        47,8

        41,8

         

        West

        52,5*

        47,5

        38,7

        40,2

         

      10. Wahrnehmungen von Zeichen sozialer Desorganisation im Wohnviertel
      11. Auch mit Blick auf die Wahrnehmung von Zeichen sozialer Desorganisation im Wohnviertel überwiegt das Bild einer Gleichverteilung der Sanktionseinstellungen, insbesondere mit Blick auf die restitutiven Sanktionsvorschläge. Während Probanden aus sozial als unproblematisch wahrgenommenen Wohnvierteln - vor allem in Ostdeutschland und beim Betrug - noch häufiger eine Geldstrafe vorschlugen und sich insoweit der zuvor berichtete erwartungswidrig negative Trend auch hier einstellte, ergaben sich hinsichtlich der Befürwortung der Freiheitsstrafe immerhin - in Analogie zur Sozialen-Kontroll-Perspektive (vgl. oben Abschnitt 5.4.3) - erwartungsgemäße Zusammenhänge: Vornehmlich in Westdeutschland entschieden sich Probanden, die in ihrem Wohnviertel in größerem Ausmaß Zeichen sozialer Desorganisation ausmachten, signifikant häufiger für eine Freiheitsstrafe beim Betrug, Diebstahl und Taschenraub (Tabelle 35 am Beispiel des Betruges).

        Die Befunde für die Vergewaltigung deuten allerdings erneut darauf hin, daß diesem Delikt im Bereich der Sanktionseinstellungen eine eigenständige Bedeutung zukommt. Denn hier war wiederum ein negativer Trend festzustellen: Befragte, die keine Probleme sozialer Desorganisation berichteten, hielten die Freiheitsstrafe deutlich häufiger für angemessen (86% der Westdeutschen und 82% der Ostdeutschen) als jene, die große Nachbarschaftsprobleme wahrnahmen (in beiden Landesteilen 70%, tabellarisch nicht dargestellt).

        Tabelle 35: Sanktionseinstellungen für Betrug und Wahrnehmungen von Zeichen sozialer Desorganisation im Wohnviertel in Ost- und Westdeutschland 1995. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 1.095) und alte Bundesländer (n = 2.114).

        Sanktionen

        Wahrnehmung von Zeichen sozialer Desorganisation

         

        kein

        Problem

        geringes Problem

        mittleres

        Problem

        zieml. gr. Problem

        großes

        Problem

        restitutiv

        Ost

        17,8

        20,8

        26,1*

        18,0

        17,4

         

        West

        17,7

        23,8

        20,9

        20,3

        16,4

        Str. u. Anr. e. WG

        Ost

        8,3

        9,5

        9,8

        11,7

        11,7

         

        West

        16,6

        16,8

        16,6

        11,3

        10,1*

        Geldstrafe

        Ost

        64,8*

        49,7

        41,9

        49,3

        47,0

         

        West

        46,1

        42,4

        38,5

        44,1

        39,6

        Freiheitsstrafe

        Ost

        9,1*

        20,0

        22,2

        20,9

        23,9

         

        West

        19,6*

        17,0

        24,0

        24,3

        33,9*

      12. Opferwerdung
      13. Würde man die für die Kriminalitätsfurcht entwickelte Grundannahme der Viktimisierungsperspektive (vgl. oben Abschnitt 5.4.1) auf die Sanktionseinstellungen hin weiterführen, so müßten Opfer von (schweren) Straftaten nicht mehr Furcht, sondern auch größere Strafbedürfnisse aüßern als Nicht-Opfer. Auch hinsichtlich der Sanktionseinstellungen konnten solche Annahmen in bisherigen empirischen Untersuchungen jedoch nicht bestätigt werden. Kriminalitätsopfer unterschieden sich danach in ihren Strafbedürfnissen kaum von Nicht-Opfern (die Unterschiede waren hier noch geringer als bei der Kriminalitätsfurcht) und äußerten sich selbst hinsichtlich der eigenen Viktimisierung noch wiedergutmachungsfreundlich (vgl. Sessar 1992, S. 164 ff.; Sessar 1995; Pfeiffer 1993, S. 74 ff.). Auch in unseren nach der Wende durchgeführten Befragungen wurde dieser Grundbefund wiederholt bestätigt.

        In der vorliegenden Auswertung für das Jahr 1995 wurden Sanktionseinstellungen und persönliche Opferwerdungen bezogen auf Eigentums-, Gewalt- und Sexualdelikte (siehe oben 4.2) untersucht, wobei die Ergebnisse für die unterschiedlichen Referenzperioden von 18 oder 60 Monaten im wesentlichen gleich waren.

        Im einzelnen konnte in den alten Bundesländern beim Taschenraub, Diebstahl und Betrug sogar ein (signifikant) negativer Zusammenhang beobachtet werden: Hier äußerten sich die Opfer von Gewalt- bzw. Eigentumsdelikten restitutiver als die entsprechenden Nicht-Opfer (Tabelle 36 am Beispiel der Sanktionseinstellungen für Betrug und der Eigentumsopferwerdung). Eine statistisch allerdings nicht signifikante Tendenz zur Punitivität konnte in Westdeutschland nur bei Sexualopfern im Hinblick auf die Sanktionierung einer Vergewaltigung beobachtet werden.

         

        Tabelle 36: Sanktionseinstellungen für Betrug und Opferprävalenz/Eigentumsdelikte in Ost- und Westdeutschland 1995. Angaben in Prozent. Referenzperiode: 60 Monate

        Sanktionen

         

        Opferprävalenz/Eigentumsdelikte

         

         

        Nichtopfer

        Opfer

        restitutiv

        Ost

        20,3

        18,4

         

        West

        17,2*

        24,1*

        Str. u. Anr. e. WG

        Ost

        10,6

        10,1

         

        West

        13,2

        16,6

        Geldstrafe

        Ost

        50,3

        49,1

         

        West

        43,4

        40,8

        Freiheitsstrafe

        Ost

        18,8

        22,5

         

        West

        26,2*

        18,5*

         

        In den neuen Bundesländern reagierten die Opfer bei einem Teil der Delikte (Taschenraub, Diebstahl, Betrug) dem Trend nach etwas punitiver; einzig hinsichtlich des Fabrikeinbruchs ergab sich eine zumindest statistisch signifikante Korrelation (Taub .09). Beim Wohnungseinbruch und der Vergewaltigung handelte es sich im wesentlichen um Gleichverteilungen.

      14. Kriminalitätsfurcht

      Unsere theoretisch begründete Annahme, daß es sich bei personalen und sozialen Kriminalitätseinstellungen um distinkte, das heißt voneinander weitgehend unabhängige Einstellungsbereiche handelt, bewährte sich schon auf bivariatem Analyseniveau auch in dieser Befragung (siehe schon Boers und Sessar 1991, S. 139, m.w.N.). Dies steht in einem deutlichen Kontrast zu der in kriminalpolitisch geprägten Diskussionen wiederholt geäußerten Vermutung, durch die Kriminalität verunsicherte Menschen würden große Strafbedürfnisse hegen. Abermals erwiesen sich solche Überlegungen im Hinblick auf die komplexe kognitive und emotionale Bewältigungsstruktur kriminalitätsrelevanter Bedrohungen und Gefahren in psychischen Systemen als zu undifferenziert, um in den Befunden der analysierten Daten eindeutiger sichtbar werden zu können. Zwar scheinen diese Vermutungen zumindest in ihrer inhaltlichen Ausrichtung noch zu "stimmen" - viel mehr konnte indessen kaum festgestellt werden.

      Denn erstens waren die diesbezüglichen Unterschiede im besten Falle (sehr) schwach (Taub, mit einer Ausnahme: .12, immer < .09), in der Regel jedoch noch nicht einmal signifikant ausgeprägt.

      Zweitens sollten die kriminalpolitisch vermuteten Zusammenhänge in den von der Kriminalitätsfurcht weit stärker betroffenen neuen Bundesländern, das heißt insbesondere angesichts der dort offenbar gewordenen subjektiven Anpassungsprobleme an die "neue" Kriminalitätslage (vgl. oben Abschnitt 5.2), erheblich deutlicher sichtbar werden als in den alten Bundesländern. Zudem ist dies schon aus statistischen Gründen zu erwarten, wenn nämlich eine zu untersuchende Kategorie von der Anzahl ihrer Beobachtungen her in größerem Umfang besetzt ist. Empirisch erwiesen sich jedoch die Zusammenhänge für die neuen Bundesländer in den meisten Fällen als weitaus schwächer, häufig handelte es sich schon eher um Fälle einer Gleichverteilung. Dort, wo sich signifikante Zusammenhänge ergaben, entsprachen, vor allem im Westen, größere Kriminalitätsfurcht und Strafbedürfnisse auf der einen Seite einer geringeren Kriminalitätsfurcht und höheren Wiedergutmachungsbereitschaft auf der anderen Seite; im Osten bezogen sich die Unterschiede vornehmlich auf eine größere Restitutivität bei geringerer Kriminalitätsfurcht.

      Drittens verweist die kriminalpolitische Vermutung mangels näherer Differenzierung inzidenter auf einen "irrationalen" Zusammenhang zwischen "frei flotierender" Kriminalitätsangst und "diffusen" Strafbedürfnissen. Demnach wären signifikante Beziehungen am ehesten mit der allgemeinen Kriminalitätsfurcht zu erwarten, da diese in höherem Maße ungerichtete Kriminalitätsängste widerspiegelt (und zwar wohl auch noch dann, wenn - wie hier - die Sanktionseinstellungen deliktsspezifisch differenziert erhoben werden). Indessen waren gerade die Korrelationen mit der allgemeinen Kriminalitätsfurcht durchweg am schwächsten ausgeprägt.

      Berichtenswerte Zusammenhänge - wohlgemerkt: wegen der auch hier nur geringen Korrelationmaße lediglich in einem interpretativ-heuristischen Sinne - konnten allein mit Blick auf die spezifische Kriminalitätsfurcht beobachtet werden. So sprachen sich hinsichtlich des Taschenraubes, Wohnungseinbruchs (Ost) und Diebstahls (West) diejenigen Probanden am häufigsten für eine Freiheitsstrafe (und entsprechend am seltensten für eine Wiedergutmachung) aus, die genau gegenüber diesen Delikten die größte Kriminalitätsfurcht geäußert hatten (Tabelle 37 am Beispiel des Taschenraubs). "Spezifisch" gewinnt hier also - allerdings auch nur bei diesen Delikten - eine zweifache Bedeutung: Sowohl die Kriminalitätsfurcht als auch die Punitivität beziehen sich auf dieselbe Deliktsart. Vor allem diese Beziehungen wurden deshalb in den Mittelpunkt explorativ weitergehender multivariater Analysen gestellt (siehe im folgenden Abschnitt).

      Tabelle 37: Sanktionseinstellungen für Taschenraub und spezifische Kriminalitätsfurcht Raub 1995. Angaben in Prozent. Neue Bundesländer (n = 1.095) und alte Bundesländer (n = 2.114).

      Sanktionen

      Spezifische Kriminalitätsfurcht (Raub)

       

      nicht beunruhigt

      weniger
      beunruhigt

      ziemlich
      beunruhigt

      sehr
      beunruhigt

      restitutiv

      Ost

      13,8

      7,5

      12,5

      8,4

       

      West

      11,0*

      7,7

      7,9

      3,3*

      Str. u. Anr. e. WG

      Ost

      28,8*

      16,1

      19,2

      14,2

       

      West

      16,3

      19,6

      14,4

      17,4

      Geldstrafe

      Ost

      32,8

      44,9

      40,0

      37,1

       

      West

      37,0

      39,1

      38,0

      30,4

      Freiheitsstrafe

      Ost

      24,5

      31,6

      28,3

      40,4*

       

      West

      35,7

      33,6

      39,7

      48,9*

       

      Schließlich sind zum wiederholten Male Besonderheiten im Hinblick auf die Vergewaltigung zu berichten. Auch hier kehrte sich die (bislang) erwartungsgemäße Tendenz der Zusammenhänge zumindest hinsichtlich der Wiedergutmachungsbereitschaft um: Die diesbezüglich sehr beunruhigten Probandinnen äußerten (im Westen: signifikant, im Osten: der Tendenz nach) am häufigsten restitutive Einstellungen, während sich bei den Strafbedürfnissen kaum Unterschiede ergaben (tabellarisch nicht dargestellt).

       

    7. Multiple Korrespondenzanalysen mit Sanktionseinstellungen

Da die strukturellen Zusammenhänge mit den Sanktionseinstellungen in den multivariaten Analysen noch am deutlichsten beim Raub bzw. Taschenraub ausgeprägt waren, werden diese Befunde hier beispielhaft dargestellt. Statistisch wurden wiederum multiple Korrespondenzanalysen verwendet (zum Verfahren siehe oben Abschnitt 2). Dies empfahl sich hier umso mehr als der aus den bivariaten Analysen gewonnene Gesamteindruck der Invarianz von Sanktionseinstellungen natürlich auch in einer multivariaten Analyse (im übrigen: welcher Art auch immer) erhalten bleibt. Gleichsam als Zusammenfassung dieses Abschnitts können die nachfolgend darzustellenden multiplen Beziehungen also ebenfalls nur einen explorativen, wenngleich etwas komplexeren Einblick in die allenfalls bestehenden Zusammenhangsstrukturen vermitteln.

Des weiteren ist zu berücksichtigen, daß angesichts der vor allem für Ostdeutschland kleinen Stichprobe (einschließlich der Sanktionseinstellungen) insgesamt nur sechs Variablenkomplexe berücksichtigt werden konnten, die zum Teil zuvor auf faktorenanalytischem Wege zusammenfassend gewonnen wurden (zum Verfahren vgl. oben Abschnitt 2).

Im einzelnen handelt es sich um:

 

 

Die den multiplen Korrespondenzanalysen für die Sanktionseinstellungen beim Taschenraub entnommenen Beziehungsmuster werden in Tabelle 38 zusammengefaßt.

 

 

Tabelle 38: Korrespondenzanalytisch gewonnene Konstellationen für Sanktionseinstellungen bei Raub. Ost-West-Synopse 1995.

 

"Restitution" und "Strafe unter Anrechnung einer Wiedergutmachung"

OST

WEST

Kriminalitätsfurcht: nicht beunruhigt

Kriminalitätsfurcht irrelevant

Unterdurchschnittliche und überdurchschnittliche soziale Desorganisation

sowie häufige und keine direkte(n) Viktimisierungserfahrungen

Hohe soziale Desorganisation

sowie keine direkten Viktimisierungserfahrungen

Sozio-ökonomischer Status irrelevant

Geringer sozio-ökonomischer Status

Alter über 45 Jahre

Alter über 45 Jahre

Geschlecht irrelevant

Geschlecht irrelevant

 

 

"Geldstrafe" und "Freiheitsstrafe"

OST

WEST

Keine relevanten Zusammenhänge

Hohe soziale Desorganisation

sowie häufige direkte Viktimisierungserfahrungen

 

Häufige direkte Viktimisierungserfahrungen

 

Kriminalitätsfurcht irrelevant

 

Alter 16 bis 44 Jahre

 

Mittlerer und hoher sozio-ökonomischer Status

 

Geschlecht irrelevant

 

Dabei fiel hinsichtlich der Sanktionseinstellungen zunächst auf, daß sich die zusammenfassend eingebrachten vier Kategorien in zwei Gruppen "dichotomisierten": Die allein restitutiven Sanktionen lagen unmittelbar neben der "Strafe unter Anrechnung einer Wiedergutmachung", ebenso standen die Geldstrafe und freiheitsentziehenden Sanktionen in einem sehr engen Zusammenhang.

Insgesamt bestätigte sich (zugleich als Zusammenfassung dieses Abschnitts) noch deutlicher als in den bivariaten Auswertungen, daß Sanktionseinstellungen offensichtlich "Attitüden eigener Art" sind. Insbesondere in Ostdeutschland wiesen die Analysen weniger auf Korrespondenzstrukturen als auf "Irrelevanzen" hin.

Die bivariat immerhin noch in dem "zweifach spezifischen" Sinne sichtbar gewordenen Beziehungen mit der Kriminalitätsfurcht verloren sich multivariat nahezu gänzlich. Allein in der ostdeutschen Stichprobe zeigte sich noch, daß nicht beunruhigte Probanden eher für restitutive Sanktionen votierten.

Des weiteren waren auch die Beziehungen mit dem sozialen Nahbereich insgesamt uneindeutig. Im Osten korrespondierten restitutive Einstellungen sowohl mit einer über- als auch unterdurchschnittlichen Wahrnehmung von Zeichen sozialer Desorgansisation sowie mit häufiger und keiner Viktimisierungserfahrung. Und im Westen hingen beide Sanktionseinstellungsbereiche mit einer hohen sozialen Desorganisation zusammen. Mithin konnten hier (was im Sinne eines Interaktionseffektes zu interpretieren ist) allein die zusätzlich zur Wahrnehmung sozialer Desorganisation gemachten Viktimisierungserfahrungen die Sanktionseinstellungen (etwas deutlicher) differenzieren: Nicht-Opfer aus als sozial unproblematisch bewerteten Wohnvierteln präferierten beim Taschenraub eher die restitutiven und Opfer aus sozial problematischen Nachbarschaften eher die punitiven Sanktionen. Die Vermutungen über ein größeres Sanktionsbedürfnis von Opfern konnten korrespondenzanalytisch also nur in diesem einen interaktiven Zusammenhang (und auch hier nur ansatzweise) sichtbar werden.

Der (den Bildungsabschluß berücksichtigende) sozio-ökonomische Status war in der ostdeutschen Stichprobe statistisch irrelevant, wies aber im Westen dem bivariaten Gesamteindruck zuwiderlaufende Beziehungen auf (es handelt sich hier allerdings wohlgemerkt nur um die Einstellungen zum Taschenraub): ein geringer Status ging eher mit restitutiven Einstellungen einher, während ein mittlerer und hoher Status in einer Beziehung mit Bestrafung stand.

Und schließlich war das Alter im Osten nur noch entfernt von Bedeutung (über 45jährige neigten etwas mehr zur Wiedergutmachung). Im Westen befürworteten 30-44jährige Probanden etwas stärker einer Geld- oder Freiheitsstrafe und machten über 45jährige eher restitutive Sanktionsvorschläge.

So kann - als hervorstechendes Ergebnis - zu den punitiven Einstellungen der ostdeutschen Probanden lediglich festgestellt werden, daß insoweit keinerlei strukturelle Zusammenhänge bestanden. Und die Geschlechtszugehörigkeit erlangte in allen Analysen für die Verteilung von Sanktionseinstellungen keine Bedeutung.

 

 

  1. Zusammenfassung der Befunde und kriminalpolitischer Ausblick

Angesichts der fortdauernden Dynamik des sozialen Umbruchs kann man weder für den Zeitpunkt der vorliegenden Erhebung noch zum jetzigen Zeitpunkt mehr als ein Zwischenresümee unserer Beobachtungen wagen.

Danach ist die Zunahme der Massen- und Bagatellkriminalität in Industrie- und Konsumgesellschaften ein im wesentlichen durch Warenangebote und Massenkonsum bedingtes ökonomisches Modernisierungsrisiko, das bestenfalls durch eine (technische) Reduktion von Tatgelegenheiten kontrolliert werden kann. Im Vergleich dazu steht die schwere(re), in der Form der sogenannten "Straßenkriminalität" erscheinende Eigentums- und Gewaltkriminalität, neben der auch hier relevanten Steigerung von Tatgelegenheiten, mit sozialstrukturellen Integrationsdefiziten im Zusammenhang, die sich mit einer fortschreitenden Individualisierung von Lebensstilen sowie angesichts des Wohlstandsgefälles zu den Ländern Ost-, Südosteuropas und der dritten Welt noch vergrößern können. Insofern handelt es sich hier um ein (vornehmlich) soziales Modernisierungsrisiko, also um Kriminalitätsphänomene, die auf modernisierungstypische Prozesse (und Entscheidungen) zugerechnet werden und einem weit komplexeren Zusammenhang aus strukturellen, normativ-definitorischen und situativen Faktoren entstammen als die Bagatellkriminalität. Sie sind deshalb auch weit weniger kontrollierbar. Diese Kriminalitätsformen scheinen sich aber jedenfalls als Ressource zur (politischen) Steuerung von letztlich auch in modernen Gesellschaften wohl nicht vermeidbaren sozialen Exklusionsprozessen zu eignen. Schließlich handelt es sich um Delinquenzphänomene, die als typische Erscheinungen der Umbruchssituation mit der politischen, ökonomischen und sozialen Reorganisation in Ostdeutschland an Bedeutung verlieren werden. Dazu gehört sicherlich die sogenannte Regierungs- und Vereinigungskriminalität, allerdings in nur eingeschränktem Maße die mit der Privatisierung des ehemaligen DDR-Vermögens durch die Treuhandanstalt im Zusammenhang stehende Wirtschaftskriminalität. Man kann vermuten, daß - zumindest in der nächsten Zeit – die exzessiven neonazistische Gewalttaten der Jahre 1992 und 1993 ausbleiben, der Rechtsextremismus als solcher zumindest in den neuen Bundesländern noch politischen Boden gewinnen kann.

Fünf Jahre nach der Wende war das deutsch-deutsche Kriminalitätsbild insgesamt von Angleichung - auf zum Teil freilich hohem Niveau – geprägt. Im großen und ganzen mag diese Beurteilung auch heute noch zutreffen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß sich seit einiger Zeit in neuen Bundesländern nach der polizeilichen Kriminalstatistik (wiederholt) eine deutlich stärkere und nach einer neueren Opferbefragung (Kury 1997, S. 206 ff.) eine tendenziell etwas stärkere Kriminalitätsbealstung andeutet. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten; sie wird aber nur aufgrund von weiteren Dunkelfelderhebungen, für die nun ein brauchbarer zeitlicher Vergleichs- und Beurteilungsrahmen besteht, einigermaßen zuverlässig einzuschätzen sein.

Von den kriminologisch relevanten Phänomenen bestanden (und bestehen) vor allem (noch) hinsichtlich der Kriminalitätsfurcht Unterschiede: Sie war und ist im Osten größer, ist aber in den ostdeutschen Metropolen schon ab etwa 1993 in Richtung auf das Westniveau zurückgegangen. Bei den Kriminalitätsraten konnten im Dunkelfeld seit 1991 kaum noch Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland beobachtet werden; polizeilich werden inzwischen aber vor allem im Osten im Verhältnis mehr Delikte registriert. Da auch bei Sanktionseinstellungen wie im übrigen bei einigen anderen politisch-gesellschaftlichen Einstellungsbereichen (Ablehnung des Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, politischer Protest, Vertrauen gegenüber staatlichen Institutionen) kaum Unterschiede zu bestehen scheinen (vgl. zum Beispiel ipos 1995), könnte man den Eindruck gewinnen, daß sich die Ost-West-Unterscheidung als Beobachtungs- und Entscheidungskategorie allmählich überlebt hat. Gleichwohl sind weiterhin erhebliche Differenzen sichtbar, nicht nur im für das politische System irritierenden ostdeutschen Wahlverhalten (starke bzw. beachtliche Wähleranteile der PDS einerseits und rechtsextremer Parteien andererseits), sondern auch in der größeren sozialen und ökonomischen Beunruhigung, der geringeren Lebenszufriedenheit, dem geringeren Kinderwunsch, sowie in nach wie vor größeren Benachteiligungs- und Fremdbestimmungsgefühlen (vgl. Boers 1999). Nimmt man des weiteren die ökonomischen und sozialen Strukturdefizite, die nicht zuletzt in solchen Einstellungen reflektiert werden, hinzu, dann kann man allerdings auch den Eindruck gewinnen, daß die desintegrativen Potentiale des sozialen Umbruchs erst im Verlauf der gegenwärtigen "Differenzierungsphase" stärker zum Tragen kommen werden, wenn nämlich die bestehenden Ungleichheiten aufgrund geringer werdender Transferleistungen nicht mehr wie bisher kompensiert und ertragen werden können.

Ob die seit einiger Zeit im Mittelpunkt der kriminalpolitischen Debatte stehende Kriminalitätsfurcht auch - sogar selbständig - im Zentrum kriminalpräventiver Maßnahmen stehen sollte und im Rahmen dessen spürbar reduziert werden kann, ist zur Zeit eher zurückhaltend zu beurteilen. Auch die deutsche kriminologische Forschung hat sich inzwischen aus zum Teil unterschiedlichen kriminalpolitischen Erwägungen, der Kriminalitätsfurcht im Zusammenhang mit der kommunalen Kriminalprävention (vgl. Feltes et al. 1995; Hammerschick, Karazmann-Morawetz und Stangl 1996; Legge und Bathsteen 1996) oder in Verbindung mit der Privatisierung polizeilicher Aufgaben angenommen (vgl. Weiß und Plate 1996). Und es wurde auch schon vertreten, daß, nachdem sich die Massenkriminalität als polizeilich nicht bekämpfbar erwiesen habe, die Verringerung der Kriminalitätsfurcht im Zentrum der (bürgernahen) Polizeiarbeit stehen solle (Feltes und Gramckow 1994, S. 17). Gleichwohl weisen zahlreiche angloamerikanische Forschungsbefunde darauf hin, daß intervenierende Maßnahmen im Hinblick auf eine Regulierung von (Kriminalitäts-) Einstellungen noch weniger aussichtsreich zu sein scheinen als bei der Kriminalität selbst (s. den folgenden Absatz). Immerhin bezieht sich "Kriminalität" noch auf Verhaltensweisen, die von den Strafverfolgungsbehörden mit Hilfe strafrechtlicher Definitionen gegenüber konformem Verhalten unterscheidbar gemacht werden können. Kriminalitätseinstellungen unterliegen hingegen dem raschen Wandel des öffentlichen Diskurses bzw. den je nach Lebensbiographien, sozialen Milieus und unmittelbaren sozialen Umwelten höchst verschiedenen und wechselnden individuellen (und das heißt auch: höchst subjektiven) Bewältigungsstilen. Die soziale Konstruktion der Kriminalitätsfurcht verbleibt mit anderen Worten weit mehr "im Imaginären" als die der Kriminalität (siehe Walter 1995, der vor diesem Hintergrund fragt, ob sich die Kriminalpolitik "von einem realen zu einem imaginären Kriminalitätsverständnis" bewegt und deren "Versubjektivierung" für "unvertretbar" hält) .

Allein der oben geschilderte "Verzögerungseffekt" (siehe Abschnitt 5.2), durch den die Entwicklung der Kriminalitätsfurcht in den neuen Bundesländern seit der Wende gekennzeichnet ist, weist auf die (vor allem in Zeiten sozialer Umbrüche größere) Bedeutung selbstregulativer Prozesse hin. Offensichtlich damit im Zusammenhang stehende rückläufige Entwicklungen, wie die Verringerung der Kriminalitätsfurcht in den ostdeutschen Metropolen zwischen 1991 und 1993/1995, wären - wenn man die bisherigen Befunde der methodisch letztlich allein aussagefähigen und bislang nur in den USA und Großbritannien durchgeführten quasi-experimentellen Evaluationsforschung zugrundelegt - mit kommunalen Präventionsmaßnahmen nicht zu erreichen gewesen. Denn die dortigen kommunalen und/oder polizeilichen Präventionsprojekte konnten in der Regel zwar eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen der Polizei (bzw. Nachbarschaftsorganisationen) und den Bewohnern, jedoch alles in allem kaum eine Änderung der Furcht- oder Kriminalitätsraten erreichen. Während in einigen der quasi-experimentell untersuchten Stadtteile die Kriminalitätsfurcht nach der Projektimplementation geringfügig abnahm (übrigens nicht im Zusammenhang mit den von Wilson und Kelling (1982, S. 19) vertretenen repressiv-polizeilichen Order Maintenance-Strategien), stieg sie in anderen sogar an. Bedenklich mag auch eine gewisse "Schichtschiefe" der "positiven" Effekte stimmen: einige Projekte sind vor allem in Mittelschichtvierteln, die ja in aller Regel nicht überdurchschnittlich kriminalitäts- oder problembelastet sind, positiv aufgenommen worden, zumal dann, wenn sie in unmittelbarer Nachbarschaft zu sogenannten Problemvierteln lagen und negative Folgen für die soziale Struktur und die Immobilienwerte der eigenen Wohngegend befürchtet wurden (vgl. zusammenfassend Skogan 1990; Boers 1995b sowie Becker et al. 1996 m. w. N.).

In Deutschland weisen die seit der Wende durchgeführten kriminologischen Untersuchungen jedenfalls noch nicht auf eine so zugespitzte Kriminalitätslage hin, daß für eine auch abwartend beobachtende und (durchaus auch in einem komplexen Sinne) reflektierende Kriminalpolitik kein Raum wäre. Soweit ersichtlich haben sich politische Entscheidungen von den dargestellten empirischen Befunden jedoch nicht sonderlich irritieren lassen. Im Zweifel und unter "politischem Handlungsdruck" wird wohl eher für "mehr Polizeibeamte auf den Straßen" votiert, und zwar ohne daß bislang Effizienzstudien kommunaler Präventionsmaßnahmen durchgeführt worden wären beziehungsweise zunächst in Auftrag gegeben würden. Man wird mithin diesen von Walter (1995, S. 72) nicht unzutreffend als "neuen Gefühlsansatz" bezeichneten Tendenzen in der Kriminalpolitik mit einer gewissen Skepsis begegnen müssen, sowohl hinsichtlich der Kosten-Nutzen-Erwartungen einzusetzender staatlicher Ressourcen für eine verstärkte polizeiliche "Straßenarbeit" als auch mit Blick auf die rechtsstaatlichen und sozialen Unwägbarkeiten von de facto oder de jure ausgeweiteten polizeilichen Kontrollbefugnissen im Rahmen einer kommunalen, "furchtreduzierenden" Polizeiarbeit. Freilich ist gegen eine "bürgernahe" Polizeitätigkeit dann nichts einzuwenden, wenn diese - wie bei einigen der inzwischen vielerorts tätigen Präventionsräte - im Rahmen eines Konzeptes kommunaler Sozialprävention erfolgt, das in seinen Problemanalysen, Beratungen und praktischen Tätigkeiten von allen an der "Social Factory" eines Gemeinwesens Beteiligten (und von ihm wie auch immer Betroffenen) getragen wird. Hier käme der Polizei eine "sinnvolle Problemvermittlerfunktion" zu, "die ihren Kompetenzbereich in überschaubaren und kontrollierbaren Grenzen hält" (Kerner 1994, S. 174; vgl. auch Jäger 1993, S. 123).

Die in Abschnitt 5.5 vorgestellten Befunde erlauben immerhin ein gegenüber bisherigen Forschungen vertieftes Verständnis über die strukturellen Entstehungszusammenhänge personaler Kriminalitätseinstellungen, hauptsächlich der Kriminalitätsfurcht. Insbesondere zeigte sich, daß die bisherigen Annahmen über die größere Furcht von Frauen und älteren Menschen durch die analytische Einbeziehung der sozialen Lage und kulturell-normativen Orientierungen ihre bislang herausragende Bedeutung verlieren. Unsere multiplen Korrespondenzanalysen führten mit Blick auf die personalen Kriminalitätseinstellungen in Ost- und Westdeutschland zu recht verschiedenen Milieukonstellationen - ein Ergebnis, das nur vor dem Hintergrund des sozialen Umbruchsprozesses verständlich wird: Im Westen korrespondierten solche Milieus mit der Kriminalitätsfurcht, die sowohl hinsichtlich ihrer normativen als auch sozialen und ökonomischen Bewältigungsressourcen erhebliche Mängel aufwiesen. Im Osten scheinen demgegenüber vor allem normative Ressourcendefizite eine Rolle zu spielen. Das heißt: Hier überwiegen mit Blick auf die Kriminalitätsfurcht konventionelle bzw. politisch konservative Wertorientierungen, die - trotz einer im großen und ganzen stabilen sozialen Lage - einen subjektiv flexibleren Umgang mit der neuen "Kriminalitätslage" sowie mit dramatisierenden kriminalpolitischen Diskursen erschweren.

Des weiteren unterstützen die unter Einschluß der Copingfähigkeiten durchgeführten Analysen (auch indirekter Effekte) unsere in Anlehnung an das Transaktionsmodell von Lazarus entwickelte Vorstellung, daß kriminalitätsrelevante Gefahrerlebnisse und Wahrnehmungen in der sozialen Umwelt nicht notwendigerweise und vor allem nicht in einer linearen Verbindung mit der Kriminalitätsfurcht stehen, sondern offensichtlich in einem komplexen und rekursiven Interaktions- und Bewertungsprozeß zwischen psychischem System und sozialer Umwelt mit unterschiedlichem emotionalem Ausgang intern reguliert werden. Die aufgezeigten Korrespondenzen wie Nicht-Korrespondenzen zwischen der Kriminalitätsfurcht und bestimmten Konstellationen sozialer Milieus sowie spezifischer Copingfähigkeiten könnten erlauben, solche psychischen Regulierungsbereiche zumindest anhand ihrer sozialen Indikatoren konkreter einzugrenzen. Insoweit haben sich das erweiterte interaktive Verständnismodell sowie die eingesetzten explorativen Verfahren der multiplen Korrespondenzanalyse also bislang bewähren können.

Bei allem ist zu berücksichtigen, daß sich die kriminologische Umbruchsforschung nach wie vor in den Anfängen befindet, obgleich inzwischen einiges an empirischem Material und ersten Analysen zusammengetragen worden ist. Dabei wurde bislang, was freilich methodisch sowie angesichts der überraschenden Dynamik des Umbruchsprozesses nachvollziehbar ist, zu sehr das klassische Kriminalitätsbild der Massen- und Straßendelinquenz reproduziert. Des weiteren sind der Wandel und die Bedeutung der formalen Kontrollinstanzen noch kaum erforscht. In Zukunft wird man bei den üblichen Verfahren der quantitativen Kriminalitäts- und Opferbefragungen also nicht stehenbleiben können. Denn dann würden für den sozialen Umbruch wahrscheinlich weit typischere Delinquenzformen, wie die Wirtschaftskriminalität oder die politische und Organisierte Kriminalität, sowie die Interventionsformen des Strafverfolgungssystems kriminologisch unberücksichtigt bleiben. Daß vieles weiterhin nur begleitend und deskriptiv erhoben wird, muß dann kein Nachteil sein, wenn es - und das dürfte letztlich das Entscheidende sein - mehr als bisher gelingt, die kriminologische Theoriebildung unter kritischer Einbeziehung der gegenwärtig wieder intensiv geführten Modernisierungsdiskussion weiterzuentwickeln, wenn man die gegenwärtigen historischen Prozesse dazu nutzen kann, um die zwischen Ätiologie und Interaktionismus festgefahrenen Argumentationsmuster mit dem möglichen Gewinn präziserer Beobachtungen zu überdenken.

 

 

 

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